Sonntag, 22. Oktober 2017

HANSEPERSONALITY Oliver Redelfs: Privater Investmentfonds mit internationalen Experten für Hamburgs Gamesbranche.

HAMBURG DIGITAL INTERVIEW


Es ist ein 100 Mrd. Dollar-Markt, dominiert von Global Playern, wie "Activision", "Microsoft", "Nintendo", "Sony" und "Ubisoft". Mit 2,9 Mrd. € in 2016 gehört die Gamesbranche zu den großen Tech- und Kreativbranchen Deutschlands. So rasant das Wachstum ist, so rasant ist die Achterbahnfahrt auch der Hamburger Player: "Bigpoint" und "Goodame Studios" haben schmerzhafte Anpassungen erfolgreich überstanden, während "InnoGames" weiter auf einer Erfolgswelle schwimmt und Mitte d. J. von der schwedischen Modern Times Group übernommen wurde.


Hamburgs Gamesbranche versetzt wieder Container ...
Illustration: Gamecity Hamburg

Wo befindet sich die deutsche Gamesindustrie an Alster und Elbe heute? Wohin geht die Reise an einem der größten Entwicklerstandorte der Republik? Wie sieht die Gamesförderung in Hamburg aktuell aus? Und wie können Wirtschaft und Senat die "Gamescity" Hamburg sinnvoll fördern. Unser HANSEPERSONALITY ist Branchensprecher Oliver Redelfs:

Der internationale Gamesmarkt ist in den vergangenen Jahren kräftig durchgewirbelt worden. Heute dominieren "Free-to-Play"-Games, die großen Digital-Stores und "Games-as-a-Service" den Markt. Wie hat die Hamburger Gamesbranche die Umbrüche gemeistert? 


Sprecher der Hamburger Gamesbranche: Oliver Redelfs
Foto: Gamecity Hamburg
Wenn etwas in der Gamesbranche sicher ist, dann ist es der ständige Fortschritt und Wandel. Kein anderer Wirtschaftsbereich ist so schnelllebig und saugt Innovationen mit einer derart hohen Geschwindigkeit auf, um sie in neue Produkte oder Geschäftsmodelle für den Massenmarkt zu transferieren. Die Hamburger Unternehmen haben sich trotz großer Herausforderungen mit unterschiedlichen Strategien wacker geschlagen. 

"Die Gamecity ist erstaunlich gut durch die großen Herausforderungen gesegelt."

Vom langsamen und nachhaltigen Firmenaufbau, dem Besetzen von Nischenmärkten über Effizienzsteigerungen und Kostenreduktion bis hin zum Wachstum durch Zukäufe hat jede Firma sein individuelles Erfolgsrezept gebraut. Insgesamt ist die "Gamecity" als Ganzes erstaunlich gut und ohne langfristige Schäden durch die großen Herausforderungen und Marktveränderungen gesegelt, die aktuell weltweit alle Player im Gamesmarkt beschäftigen. 


Der Markt konzentriert sich auf neue, innovative Games aus Asien, Europa und Nordamerika. Durch den Wettbewerb bei "Free-to-Play"-Games sind immer innovativere Spielkonzepte, teurere Entwickungsetats und hohe Marketingbudgets unabdingbar. Wie schlagen sich da die Hamburger Anbieter?

Die "Free-to-Play"-Welle (F2P) hat die gesamte Spieleindustrie nachhaltig verändert. Um erfolgreich mit F2P-Spielen zu sein, ist ein tiefes Verständnis und die ständige Analyse der Metriken und Spieler nötig. Ohne permanente Datenanalyse ist ein Bestehen im internationalen Wettbewerb und bei den sich fortlaufend ändernden Interessen der Spieler kaum mehr möglich.

"Die Indie-Startups sind das Nachwuchsspielfeld für die Zukunft der Branche."

Die Gamecity gilt mit Bigpoint, Bytro Labs, Goodgame Studios, InnoGames, Gamigo und Xyrality als Hochburg der deutschen F2P-Anbieter, die alle diese Kunst beherrschen und im Unternehmen entsprechende Strukturen aufgebaut haben. Alle genannten Firmen sind in diesem Segment sehr erfolgreich und für die Zukunft gut gerüstet. Gleichzeitig gibt es in der Stadt eine hochinnovative Indie-Szene, angeführt vom Branchenprimus Daedalic sowie zahlreichen kleineren Nachwuchsteams. Dank ihrer Schnelligkeit und Kreativität entstehen hier ständig spannende Innovationen. Die Indie Startups sind das Nachwuchsspielfeld für die Zukunft der Branche. 

5 der 10 größten Gamesfirmen Deutschlands sitzen an Alster und Elbe. Die Hamburger Anbieter gehören nicht durch die Bank weg zum neuen Typus von Gamesschmieden. Wie es der Hamburger Gamesmarkt aktuell strukturiert?


Aktuelle Marktanalyse der "Gamecity Hamburg"
Quelle: Nextmedia Hamburg
Die bereits genannten großen F2P-Anbieter dominieren die regionale Gameszene, sowohl mit ihren hohen Umsätzen wirtschaftlich, als auch mit ihren großen Mitarbeiterzahlen. Mit Daedalic wurde aber gleichzeitig auch die deutsche Spielefirma mit den meisten Auszeichnungen beim Deutschen Computerspielpreis und dem Deutschen Entwicklerpreis (30!) in der Stadt gegründet. Daedalic ist mit qualitativ hochwertigen Adventures, also narrativen Spielen, groß geworden und gilt in diesem Bereich als führend. Inzwischen hat das Unternehmen sein Portfolio diversifiziert und stellt auch erfolgreiche Spiele im Strategie-Genre her. 

HAW Games Master-Studiengang: "Kaderschmiede der deutschen Gamesbranche"

Daneben gibt es in der Stadt sehr erfolgreiche Indie-Studios und eine lebendige Szene für den Nachwuchs. Alle guten Newcomer-Studios aufzuzählen sprengt hier den Rahmen. Ein wichtiger Kristallisationspunkt der Nachwuchsszene ist der Hamburger Indie-Treff, wo Wissensaustausch und Netzwerken ein Zuhause gefunden haben. Viele Neugründungen kommen aus dem Umfeld der HAW – Hochschule für angewandte Wissenschaften -, deren Games Master-Studiengang ich oft als Kaderschmiede der deutschen Gamesbranche bezeichne. 


Deutsche Hersteller verdienen rd. 40% ihres Umsatzes in aller Welt. Im Gegenzug kommen nur rd. 5-7% der in Deutschland verkauften Games auch aus deutschen Entwicklerschmieden. Standorte, wie Berlin gehen massiv in die Förderung. Wie sieht die Förderung in Hamburg heute aus?
Networking bei der Hamburger Gameskonferenz 2017
Foto: HANSEVALLEY

Aktuell gibt es in Hamburg keine gezielte und explizite Gamesförderung. Mögliche Förderkonzepte werden jedoch innerhalb der Stadt fortlaufend geprüft. Hamburg war immerhin das erste deutsche Bundesland, in dem Spiele mit einer Prototypenförderung gezielt gefördert wurden. Mit dieser auf eine begrenzte Laufzeit initiierten Maßnahme konnte einigen der heute erfolgreichen Spielefirmen der Start in der Hansestadt erleichtert werden. Aufgrund des dynamischen und sich stark gewandelten Marktes wäre eine solche Prototypenförderung heute aber nicht mehr zeitgemäß und funktional. 

Du bist Gründer der "Gamecity Hamburg" und seit vielen Jahren u. a. als Redakteur, Berater und Business Developer im Hamburger Medien- und Gamesmarkt zu Hause. Hand aufs Herz: Wie kann man die spannende Techbranche in Hamburg am Besten fördern?

Ohne eine dezidierte und substanzielle Gamesförderung wird Deutschland als Produktionsstandort niemals seinen Rückstand aufholen und vermutlich bald in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Selbst Polen hat mit einem überschaubaren Geldeinsatz einen gesunden Nährboden für eine prosperierende Spieleindustrie geschaffen. Weltweit haben alle großen und erfolgreichen Entwicklungsstandorte gezielte Förderinstrumente entwickelt. Die deutsche Branche kämpft hier mit Bleischuhen und muss ständig einen gravierenden Standortnachteil ausgleichen. Auf Dauer ist es aber unmöglich allein mit Effizienz, Innovation und Kreativität gegen den Wettbewerbsnachteil zu bestehen. 

"Jetzt sind Schritte nötig, die kein Bundesland stemmen kann."

Jetzt ist die zukünftige Bundesregierung am Zug, endlich eine substanzielle Förderung für die hiesigen Firmen aufzubauen, denn alle Parteien einer möglichen Regierungskoalition bekennen sich erstmals zu Unterstützungsmaßnahmen für die Spieleindustrie. Um international mitspielen zu können, sind jetzt Schritte nötig, die kein Bundesland stemmen kann. Während der "GAME"-Bundesverband 100 Millionen Euro für die Gamesbranche fordert, setzt der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) auf ein international bewährtes „Tax-based funding model“.

Daher muss auch in der Hansestadt unbedingt etwas passieren, und zwar schnell und effizient. Doch nur nach staatlicher Hilfe zu rufen oder einfach nur die regionalen Förderinstrumente der anderen Bundesländer nachzuahmen, ist ein Irrweg. Die Möglichkeiten hier sind durch stark limitierte Fördersummen aufgrund der Länderhaushalte immer begrenzt und auch die Erfolgsbilanz bestehender Programme löst aktuell keine Jubelstürme aus. 

"Mir schwebt ein Fondsmodell vor, um strategische Investitionen vorzunehmen."

Meiner Meinung nach muss die gesamte Spieleförderung neu gedacht und mit zusätzlichen Instrumenten ausgestattet werden. Hier sehe ich vor allem die klassische Wirtschaft, private sowie institutionelle Investoren und natürlich auch die Gamesbranche selbst in der Pflicht. Mir schwebt ein Fondsmodell mit ausreichender Einlagensumme vor, um strategische Investitionen in etablierte Firmen und Indie-Studios vornehmen zu können. 

 "Es geht um Public-Private-Partnership, indem der Staat weiterer Investitionspartner ist."

Games-Präsentation auf der GamesConf '17 in Hamburg.
Foto: HANSEVALLEY
Zur Risikominimierung der Investitionen in diesem Hochrisikomarkt, der aber gleichzeitig gigantische Gewinnchancen bietet, müssen Investitionsentscheidungen von Spieleprofis getroffen werden und den finanzierten Firmen ein Pool mit den besten Branchenexperten während der gesamten Produktion zur Seite stehen. Nur so können in dieser rasanten Branche Entscheidungen schnell und unbürokratisch getroffen werden. Gerade diese Punkte sind die größten Probleme aller derzeit existierenden staatlichen Förderinstrumente. Letztlich geht es um ein Public-Private-Partnership, indem der Staat die regulatorischen Bedingungen schafft und lediglich als weiterer Investitionspartner mit an Bord ist.

Zu guter Letzt: Warum ist die Gamesbranche aus Deiner Sicht besonders förderwürdig. Als Außenstehender würde man doch eher von "verspielten Nerds" reden, oder? Was bringt die Spieleindustrie Hamburg an besonderen Assets?

Die Gamesbranche ist einer der wichtigsten Innovationleader und Vorreiter bei der Digitalisierung. Um dies Verstehen genügt ein kurzer Blick, warum hier Zukunftsforschung mit Softwareprodukten erfolgt, die sich sofort in einem kompetitiven und komplett internationalisierten Massenmarkt bewähren müssen. Durch die schnelle, iterative Gamesentwicklung profitieren durch die Analyse und Erkenntnisse später alle Wirtschaftszweige. Der Fortschritt in der Computerhardware wurde maßgeblich durch die ständig ansteigenden Leistungsanforderungen der Spieleindustrie vorangetrieben. 

"Content Marketing ist seit Jahren fester Bestandteil der Gamesbranche."

Gleiches gilt für die Softwareentwicklung, wo jedes Spiel die Grenzen des technisch und kreativ machbaren neu auslotet. Die bei Gamedevs gängigen Grafikengines wie Unity und Unreal gelten inzwischen als das "Microsoft Word"-Programm für die Entwicklung von VR- und AR-Anwendungen. Das aktuell angesagte Content-Marketing oder Video Advertising sind bereits seit Jahren fester Bestandteil bei den PR- und Marketingprofis in der Gamesbranche. Und auch der Aufstieg der Influencer wurde erst durch die "Let´s Player"-Szene möglich. Hier wurde die Basis für den Influencer-Trend gelegt. Dementsprechend kommen auch heute noch die größten und erfolgreichsten Influencer Channels aus dem Gamingsektor.

"Ich vermisse die Anerkennung und Unterstützung etablierter Firmen."

Kein Wunder, dass ein Großteil der Entrepreneure in der Startup-Szene in irgendeiner Form einen relevanten Gaming-Background besitzt. Die klassischen Industrien rekrutieren seit Jahren hochqualifizierte Mitarbeiter aus der Gamesbranche, die für sie für den digitalen Changeprozess so dringend benötigen. Dieser fortlaufende Brain-Drain ist natürlich auch für die Gamesbranche selbst eine große Herausforderung. Denn gerade die erfahrenen und gut ausgebildeten Mitarbeiter werden sehr oft von in traditionelle Branchen gelockt. 

Ich vermisse deshalb die Anerkennung und Unterstützung etablierter Firmen aus allen Wirtschaftsbereichen. Wo bleibt das Bekenntnis zur Gamebranche als Zukunftswerkstatt für die deutsche Industrie? Wieso findet keine gezielte Zusammenarbeit der deutschen Wirtschaft mit der Spielindustrie statt, um damit den digital bestens ausgebildeten Nachwuchs zu fördern? Selbst die Granden der Politik haben inzwischen die Bedeutung der Gamesbranche für die Digitalisierung erkannt. 

"Endlich das außergewöhnliche Potenzial der Gamesbranche nutzen."

Ich erwarte, dass die Wirtschaft schon aus Eigeninteresse endlich Chancen ergreift, die von der Spieleindustrie ausgehen. Wer Games immer noch als Spielkram belächelt, verspielt seine eigene Zukunft. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich Firmen, Investoren und Institutionen bei mir melden, um gemeinsam Ideen und Strategien zu entwickeln, um endlich das außergewöhnliche Potenzial der Gamesbranche effektiv zu nutzen.

Vielen Dank für die tiefgehenden Einblicke!
Das Interview führte Thomas Keup.


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 Hamburg Digital Background: 

Games-Standort Hamburg 2017 - Abendblatt

Games-Markt Deutschland 2017 - HMS-Studie

Branchen-Netzwerk "Gamecity Hamburg"

Studiengang "Games Master" HAW Hamburg

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