Dienstag, 21. Juli 2020

HANSESTATEMENT Peter F. Schmid: Nur wer digitalisiert, überlebt diese Krise.

Hanse Digital Autoren

Digitalunternehmer und Visionär: Peter F. Schmid, Visable
Foto: Visable

Seit mehr als vier Monaten befinden wir uns durch die Corona-Krise in einem weltweiten Ausnahmezustand. Zahlreiche Unternehmen und ganze Branchen bangen um ihre Existenz. Peter F. Schmid ist CEO von "Visable", dem Dach der europäischen B2B-Plattform "Europages" und des deutschen Marktführers im Bereich digitaler B2B-Marktplätze "Wer liefert was“ (WLW). Der Vorsitzende der Landesfachkommission Internet und Digitale Wirtschaft des Wirtschaftsrats Hamburg beobachtet die Situation von Beginn an und identifiziert sieben eindeutige Entwicklungen. Ein Gastbeitrag von Peter F. Schmid:

Das IfO-Institut prognostiziert bereits eine Insolvenzwelle für die kommenden Monate. In diesen Zeiten zeigt sich so deutlich wie noch nie, dass KMU ohne den Einsatz von digitalen Tools vor dem Aus stehen. Ich beobachte die Situation von Beginn an und identifiziere die folgenden sieben Entwicklungen:

1. Beschleunigung der Digitalisierung der KMU im Bereich Einkauf und Vertrieb

Die klassischen, bekannten und bewährten Marketing- und Vertriebstools standen mit einem Mal nicht mehr zur Verfügung. Die Absage von zahlreichen Messen sowie die Abordnung von Vertriebsmitarbeiterinnen- und Mitarbeitern ins Homeoffice brachte den Vertrieb in vielen Unternehmen kurzfristig zum Erliegen. Ohne den zeitnahen, gezielten Einsatz von digitalen Tools müssten eine Vielzahl von KMU in Europa um ihre Existenz fürchten. Zugespitzt bedeutet das: Nur wer digitalisiert, überlebt diese Krise. 

Besonders im Vertrieb mussten und müssen neue Wege gegangen werden, um den Einkauf ohne persönlichen Besuch zu erreichen. Ob Sales-Pitches via Videocall oder der Einsatz eines virtuellen Messestands – die Möglichkeiten sind vielfältig und die Nachfrage nach Weiterbildung groß. Mehr als 350 Interessierte informierten sich beispielsweise in unserem Webinar zu dem Umgang mit neuen digitalen Vertriebslösungen. Das war ein toller Erfolg und eine erneute Bestätigung für Visable als digitaler Partner für KMU in Europa.

2. Messe als primäres Verkaufs- und Marketing-Tool nicht mehr zeitgemäß 


Jede vierte Messe wird es nach der Krise so nicht mehr geben. Schon vor dem Einsetzen der Coronakrise gab es die Diskussion um die Zweckmäßigkeit von vielen Messen weltweit. In Zeiten der Digitalisierung ist es weder zeitgemäß noch ökologisch und ökonomisch sinnvoll, komplexe Güter wie Maschinen um die halbe Welt zu transportieren, um sie für eine oder zwei Wochen auf einer Leitmesse auszustellen. Auch der enorme Reiseaufwand von Ausstellern und Besuchern sowie der Einsatz von finanziellen sowie ökologischen Ressourcen steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Der Erhalt der Messebranche als Selbstzweck sollte für die Zeit nach Corona hinterfragt werden.

3. Besonderes Bedürfnis nach persönlichem Austausch und Wissensvermittlung 

Für viele sind die jährlichen Messebesuche auch immer Anlass zum Austausch innerhalb der eigenen Branche. Key Notes, Experten-Panels und Masterclasses dienen außerdem zum Wissenstransfer und zur Inspiration. Das Bedürfnis nach persönlichen Treffen, zwischenmenschlichem Austausch und Networking wird auch nach Corona nicht verschwunden sein – im Gegenteil. Konferenzen und Summits kommen ganz ohne den gewohnten Druck aus, möglichst viele Leads oder Abschlüsse generieren zu müssen, sie bieten einen echten Mehrwert und werden deutlich stärker nachgefragt werden.

4. Ausgaben für Online-Marketing steigen massiv 

Das durch die Absage von Messen freigewordene Marketingbudget wird von vielen Unternehmen nun für Tools wie SEA, Content Marketing und Social Media eingesetzt werden. Einer Umfrage von "iBusiness" zufolge will mehr als jedes vierte Unternehmen (27 Prozent) vermehrt auf virtuelle Lösungen setzen. Die Vorteile von Online-Marketing überzeugen auch in Krisenzeiten. Reichweite und Inhalte können gezielt gesteuert werden. Die Leadgenerierung via Plattformen ist einfach und flexibel möglich.

5. Die Bedeutung von Digital Sourcing in Europa wächst

Viele Unternehmen wurden Covid19-bedingt dazu gezwungen, ihre Beschaffungs-Strategie vollständig zu überdenken oder waren kurzfristig auf alternative Lieferquellen angewiesen, weil ihnen die etablierten Lieferketten weggebrochen sind. Auch rücken lokale, nationale und Anbieter aus den umliegenden Märkten mit kürzeren Lieferwegen wieder stärker in den Fokus. Der harte Shutdown am chinesischen Markt brach bewährte Lieferketten, die in den letzten 20 Jahren mit der Zuwendung nach Asien etabliert wurden. 

Sie überzeugten einst durch Flexibilität, Vielfältigkeit und günstige Konditionen. Jedoch wurde die Möglichkeit einer erneuten weltweiten Wirtschaftskrise von den meisten schlicht ignoriert. Durch Digital Sourcing sichert der Einkauf seine Lieferketten und kann schnell und flexibel auf Veränderungen durch Krisensituationen reagieren. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die Beschaffung auf nur eine, enge Lieferantenbeziehung setzte. In eine solche Abhängigkeit wird sich besonders nach dieser Krise niemand mehr begeben wollen.

6. Noch nie waren Online-Plattformen für Europas B2B-Markt wichtiger

Ein schneller Überblick über alle verfügbaren Anbieter, Akquisitionen von neuen Kunden lokal bis weltweit, die Messbarkeit des Budgeteinsatzes und die Verfügbarkeit an 365 Tagen im Jahr sind nur einige Vorteile, die Plattformen wie "Europages" und "WLW" bieten. "Visable" konnte in den ersten Wochen nach dem deutschlandweiten Lockdown einen signifikanten Anstieg der Zugriffszahlen verzeichnen.

Der Traffic wuchs seit Beginn der Coronakrise im Mittel um mehr als 25 Prozent auf "WLW" und um 22 Prozent auf "Europages" im Vergleich zum Vorjahr. In Spitzen lag der Zuwachs auf beiden Plattformen sogar über 50 Prozent im Vergleich zur Vorjahreswoche. Das Potenzial für den digitalen B2B-Markt ist nach wie vor enorm. Bereits vor Corona wuchs der Markt seit 2013 um durchschnittlich 13 Prozent jährlich. Prognosen zeigen, dass sich an diesem Wachstumstrend nichts ändern wird.

7. Der Einkauf nimmt die Schlüsselrolle des Unternehmens ein

Was vor der Coronakrise eher als ein Schattengewächs der Unternehmen galt, hat sich nun zu einer der wichtigsten Säulen eines Unternehmens entwickelt. Der Einkauf rückt durch den Ausfall der etablierten Lieferketten und Liefermärkte wie bspw. China in den Mittelpunkt und sichert durch schnelles Reagieren und die Nutzung von digitalen Tools das Überleben der Company. Es geht schon lange nicht mehr nur um den Einkauf von Waren. Mittlerweile ist es das Digitalisierungs-Know-how und das strategische Verhandlungsgeschick, was zum langfristigen Erfolg führt. 

Über den Autor:

Peter F. Schmid ist CEO des europäischen Plattformanbieters "Visable" mit den B2B-Marktplätzen "Europages" und "Wer liefert was". Visable unterhält Büros an den Standorten Hamburg, Berlin sowie Paris und beschäftigt heute in den Bereichen Marktplätze und Online-Marketing über 380 Mitarbeiter. Zusammen erreichen die Marktplätze der Hamburger Firmengruppe monatlich über 3,7 Millionen B2B- Einkäufer, die nach detaillierten Unternehmens- und Produktinformationen suchen. Insgesamt sind über 3,6 Millionen Firmen auf beiden Plattformen registriert. Weitere Informationen unter www.visable.com.

Ein Gastbeitrag von Peter F. Schmid. Die inhaltliche Verantwortung des Autorenbeitrags liegt beim Urheber.
 
 Hanse Digital Background: 

HANSEPERSONALITY Peter Schmid: Ein Leuchtturm für die Digitalwirtschaft in Hamburg.

Dienstag, 7. Juli 2020

HANSEBUSINESS: Assets statt Anstand - Der tiefe Fall des Otto-Versands.

Hanse Digital Background
- 2.000+ Leser. Und Sie. -

+++ Abwimmeln von Kundenbeschwerden +++ Herabsetzung von Stammkunden +++ Launische Konzernpressesprecher +++ Verleumdung von Journalisten +++ Aussperren von Redaktionen +++ Intolleranz gegenüber Amazon +++

Otto Group Flaggen vor der Firmenzentrale in Bramfeld
Der Schein trügt: Stolze Flaggen vor der Otto-Zentrale in Bramfeld.
Foto: HANSEVALLEY
*Update 09.08.2022*


Eine Otto.de-Supporterin zickt am Telefon: "Sie hätten ja nicht bei uns zu kaufen brauchen". Otto Asset-Geschäftsführer Tarek Müller pöbelt auf Facebook: "Auch wir hatten Interaktion mit ihm. Da war ich fassungslos über Umgangsform, Verhalten und Geltungsbedürfnis." Otto Group-Sprecher Thomas Voigt betreibt gleich direkt Verleumdung: "Ihre Mails sind nun schon seit Jahren von Verunglimpfungen gegenüber führenden Persönlichkeiten des Konzerns oder den Kommunikationsverantwortlichen geprägt." So reden Otto Group-Mitarbeiter öffentlich über Kunden und Multiplikatoren - ohne die Behauptungen zu belegen - und sperren Journalisten aus ihren Presseverteilern aus. Willkommen in der Welt der Otto Group. Willkommen in Bramfeld.

Kunden anpöbeln oder Journalisten verunglimpfen zeigt, wie man hier denkt. Und damit zeigt man, wie man agiert. Unabhängig der vorsätzlichen Pöbeleien bringt eine Tatsache auf den Punkt, worum es dem Hamburger Otto-Personal nur noch geht: "Assets". Das ist der Fachbegriff der Finanzindustrie u. a. für Unternehmensteile oder Geschäftsbereiche. Die Absolventen von privater FH Wedel oder HSBA denken nicht etwa an Kunden, sondern an "Assets". Genau diese BWL- und Berater-Denke macht hemmungslose Pöbeleien gegenüber denjenigen möglich, die für das Unternehmen entscheidend sind - nämlich Kunden und Multiplikatoren (vgl. Amazon-Kundenzentrierung).


Gestellte Otto-Welt: Mit Ex-BCG-Berater Sebastian Klauke (links)
keinen "Day One"-Experten im Vorstand.
Foto: Marc Ackermann

Der Unterschied zwischen Otto und Amazon: Ein kleines Kino im Hamburger Westen. Die Presseabteilung von Amazon Prime lädt zur Premiere einer neuen Serie in die Hansestadt. Beim anschließenden Interview mit dem zuständigen Deutschland-Geschäftsführer unterbricht eine Agentur-Mitarbeiterin unversehens das Gespräch. Der Hinweis gegenüber den Presseverantwortlichen sorgt für sofortige Abhilfe. Die PR-Frau wird aus dem Verkehr gezogen, das Interview kann ungestört beendet werden. Hier hat man verstanden, dass es um ein gemeinsames, publizistisches Ziel geht. Das nennt man Professionalität in der Pressearbeit.


„Tag zwei bedeutet Stillstand, gefolgt von Bedeutungslosigkeit, gefolgt von einem fürchterlichen, schmerzvollen Niedergang, gefolgt von Tod. 
Und deswegen ist immer Tag eins.“
Jeff Bezos, Gründer und CEO, Amazon.com Inc.
Aktionärsbrief, 2017

Während Otto-Supporterinnen auch 2020 nicht auf Konflikt- oder Krisensituationen souverän regieren können, regeln Amazon-Supporter im ersten Telefonat fast alle Fälle offen, ehrlich und fair. Denn Sie bekommen die notwendigen Tools an die Hand. Hier entscheidet sich die Schlacht um die Kunden, hier entscheidet sich, ohne Gutschein oder nur mit 20% oder mehr Rabatt einzukaufen. Hier haben die BWL-Experten der "Asset"-Fraktion aus Bramfeld verloren. Der Unterschied zwischen der "Day One"-Philosophie eines Jeff Bezos und "Müssen nicht bei uns kaufen"-Arroganz der Hamburger Firmengruppe. Für Otto ist das der Anfang vom Ende. Und das beweise ich:


Nicht gegendertes Vorstands-Klo im Otto-Hochhaus:
So digital geht's hier wirklich zu.
Foto: HANSEVALLEY

*Update 06.08.2020*

Von lokal zu regional, von national zu global: Bereits bei dieser Entwicklung ist die Otto Group auf dem Abstellgleis. Beweis: Der Rückzug aus Ländern und die de facto Gleichschaltung von Baur, Otto, Schwab und Witt. Während Amazon Flugzeuge und Schiffe kauft, um die globale Logistik zu steuern und Aliexpress, Joom & Wish die nationalen Märkte erobern, ziehen sich die Bramfelder zurück. Während Amazon ein eigenes nationales Logistiknetz mit aktuell 15 Umschlagzentren und 30 Verteilstationen gespannt und mit 20 weiteren Niederlassungen ausbaut, jammert die oberste Otto-Heeresleitung über einen unfairen Wettbewerb. Der hat am Beispiel Amazon in den vergangenen 20 Jahren 20.000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen, 28 Mrd. € investiert und im vergangenen Jahr 1,6 Mrd. € Steuern gezahlt - in Deutschland.


Seit 2018 verspricht Otto.de zum Marktplatz zu werden, integriert im 1. Jahr gerade einmal rd. 70 Händler - per Faxlisten. Konzernvorstand und HSBA-Absolvent Alexander Birken erinnert sich noch heute an die Frage auf der Bilanz-Pressekonferenz. Mit jeder Jahresbilanz versprechen Birken und sein Lautsprecher Voigt, jetzt tausende Händler zu onboarden - verantwortet von einem nur bedingt kund*innenorientierten Ex-BCG-Berater Klauke. Im vergangenen Jahr weist die Group-Bilanz 166 Mio. € Kosten für den Plattform-Umbau aus. Bis heute dominieren konzerneigene Händler, wie Mirapodo. Das ist die Sollbruchstelle und der Genickbruch.


1. Otto-Versand Standort 1949 in Hamburg-Schnelsen
1949 in Hamburg-Schnelsen: So fing alles mit Schuhversand an.
Foto: Otto Group

Der Schnellere frisst den Größeren: 1994 wurde Amazon in Bellevue, Washington, gegründet. 25 Jahre später weist Amazon allein in Deutschland offiziell mit 19,9 Mrd. € insgesamt 19% aller E-Commerce-Umsätze aus - eine Steigerung in nur einem Jahr um 11,8%. Der Amazon.de-Marketplace erwirtschaftet hierzulande mit gut 30 Mrd. € weitere 29% aller E-Commerce-Umsätze. Damit dominiert Amazon mit rd. 50 Mrd. € Umsatz und fast 50% alle E-Commerce-Käufe in Deutschland. Global macht Amazon 58% mit seinen Händlern - und nicht selbst. Damit wird klar, wer heute das Geld verdient, wenn man kein Fax mehr benutzt. Stand heute hat Otto.de gerade einmal 500 Marktplatz-Händler, die zumeist über Wochen händisch integriert wurden.

1949 gründet Werner Otto in Hamburg-Schnelsen mit drei Mitarbeitern einen Schuhversand - mit Geld der Sparkasse. 70 Jahre später weist die Otto Group in Deutschland E-Commerce-Umsätze von 5,4 Mrd. € aus - eine Steigerung von 5,9% - die Hälfte des vergleichbaren Zuwachses im deutschen Onlinehandel. Deutlich erkennbar: Die Otto Group ist in Deutschland nur noch 1/4 so groß wie Amazon.de - und das ohne den milliardenschweren Amazon-Marktplatz. 2018 lag das Verhältnis noch bei 1:3. Mit 3,5 Mrd. € ist Otto.de das einzige Milliarden-"Asset" der Gruppe. Das ist der Unterschied von Geschwindigkeit zu einstiger Größe. Und Otto läuft die Zeit weg, weil man bis heute rd. 3 Jahre gebraucht hat, einen automatisch funktionierenden Marktplatz zu entwickeln.

Übersicht Otto Brand Connect Strategie
Bunte Folien im Kampf gegen die bösen Plattformen: Otto Brand Connect
Foto: HANSEVALLEY

Der Gewinner von gestern - wie gesagt: Wir haben die Otto Group im April 2018 im Hamburg Digital Ranking zum hoffnungsvollsten Unternehmen in Sachen Digitalisierung an Alster und Elbe gekürt. Im Vergleich zu den damaligen Verfolgern HPA, Haspa, Hapag-Lloyd & Co. stimmte das auch. Nur zwei Jahre später sieht die Welt in Hamburg jedoch bereits ganz anders aus: Während Otto sein neues "Mitmach-Intranet" abfeiert, hat sich Marc Fielmann mit der Digitalisierung von Optikerleistungen ebenso auf den Weg gemacht, wie Lufthansa Technik mit Aviator eine digitale Plattform für Verkehrsflugzeuge anbietet und DNV GL den digitalen Zwilling für Handelsschiffe ermöglicht.

Auch heute gibt es neue, spannende Beispiele für Digitalisierung, Transformation und Kulturwandel an Alster und Elbe. Fernab von Sonntagsreden der Verbandsvertreter und Halbherzigkeiten im Koalitionsvertrag von Rot-Grün machen sich Firmen wie z. B. Fehrmann aus Hamburg daran, ihr Geschäft in die digital-vernetzte Zukunft mit 3D-Druck und Blockchain-Technologien zu führen. Was 1995 bei Otto.de mit einem der ersten deutschen Online-Shops begann, mit Projekt Collins und About You seit 2014 - im Gegensatz zu Zalando - bis dato kein Millarden-Überflieger geworden ist, droht durch globale Plattformen zur Hamburgensie zu verkümmern.

AR-App für die Möbel-Einrichtung mit Otto.de
Nettes Otto.de-Schaufenster-Projekt: Die AR-Möbel-App
Foto: HANSEVALLEY

Wenn Firmen zu Ladenhütern werden: Durch unseren Blick auf beide Freien (und) Hansestadtstaaten, die vier Metropolregionen und alle fünf norddeutschen Bundesländer rund um Nord- und Ostsee haben wir den direkten Vergleich auf Industrien in Bremen und Oldenburg, in Hannover und Braunschweig, in Rostock und Schwerin sowie in Lübeck und Kiel. Unser Fazit zur Otto Group lautet heute: Wer mit einzelnen Pilotprojekten - wie Paketauskunft via Google Home, Spültab-Bestellung der Bosch-Spülmaschine oder Wohnungseinrichtung via AR-App - glaubt, die Zukunft des E-Commerce zu gewinnen, der lebt hinterm Deich: in Hamburg. Gegenbeispiel: Amazon - ein Technologiekonzern mit eigener Hardware, eigener Infrastruktur, eigenen Software-, Apps-, Medien- und Datenservices. Denn alles wird digital, alles.

Die aktuelle Studie das Handelsinstituts EHI aus Köln untermauert unsere persönlichen Erfahrungen: Wenn wir auf Nr. Sicher gehen, dass alles klappt und im Falle eines Falles nicht den Schaden haben wollen, kaufen wir bei Amazon und auf dem Marktplatz. Wenn wir für alltägliche Artikel so wenig Geld wie möglich ausgeben wollen, kaufen bei wir Aliexpress, Joom & Co. Aber nicht bei Otto. Das sage auch ich mit rd. 2.500,- € Amazon-Umsatz im Jahr und “Diamant”-Status bei Aliexpress. Gut 18% Amazon-Pakete allein bei DHL im Jahr (heisst: rd. 288 Mio. Sendungen) und Berge über Berge von grauen China-Einschreibetüten in den Postfilialen zeigen, dass ich nicht allein bin.

Amazon Prime Mehrwert-Dienste im Zeitstrahl
Mit Systematik zu glücklichen Stammkunden: Amazon Prime.
Grafik: Amazon Presse

Zwischen Sicherheit und Schnäppchen: Wer Kunden anpöbelt, wer Journalisten beleidigt, zeigt, was er nicht kann: Zahlungsbereite Geschäftspartner mit herausragenden Leistungen bei Produkt und Service zu begeistern und so langfristig überzeugend an sich zu binden. Das ist dagegen die Philisophie der "Amazon Leadership Principals". Herausragende Leistungen können ein goldener Prime-Käfig bei Amazon mit Next Day-Delivery, freundlichen Kurierfahrern und neuen Streaming-Serien sein. Herausragende Leistungen können ebenso Spottpreise von chinesischen Direktversendern sein - ohne Gewinnmargen für Importeure und Versandhändler.

Wenn Sicherheit oder Schnäppchen die erste Wahl sind, bleibt dem E-Commerce von Otto nicht viel übrig. Die seit Jahren gebetsmühlenartig wiedergekaute Argumentation von verantwortungsvollem Handeln wird von den eingangs erwähnten Protagonisten Müller, Voigt & Co. öffentlich mit Füssen getreten. Wenn in den Online-Shops überall die gleichen Sneakers aus Vietnam, die gleichen T-Shirts aus Bangladesh und die gleichen Jeans aus China verkloppt werden, sind die von Michael Otto aufgebauten Bemühungen für eine nachhaltige Produktion und fairen Handel spätestens mit laufend offerierten 20-, 25- und 30%-Gutscheinen der Konkurrenz passé.

Die Otto Group Imagewand in der Konzernzentrale
Der Lack ist ab - der Firmenname ist auch schon ramponiert.
Foto: HANSEVALLEY
*Update 06.08.2020 *


Die Vermögensillusion von Bramfeld: Solange die Umsätze bei Otto.de & Co. die strukturellen Probleme übertünchen, solange das Hamburger Öko-System den Otto-Machern mit einem “Weiter so” auf die Schulter klopft, solange Kleinanleger mit nachrangigen Anleihen der Familie Otto frisches Kapital ins Haus spült und die Familie auch in Krisenzeiten kräftig Geld rauszieht, wird sich an der Werner-Otto-Straße nichts ändern. Damit reiht sich der Closed Minded-Händler mit seinem Paketsklavendienst Hermes und dem Geldeintreiber EOS in die Reihe der Unternehmen ein, die mit Schaufensterprojekten ihre Lage gern öffentlich übertünchen.

Diese Projekte fliegen den Otto's auch gleich um die Ohren - z. B. das Vorgaukeln schneller Lieferungen bei Otto Group-Shops über die 6 Hermes-Hauptumschlagbasen. Entweder die Lieferung Corona-Masken wird nach 4 Wochen Wartezeit unversehens gecancelt (Danke, Otto.de!) oder Hermes braucht bis zu 2 Wochen, um in die Hufen zu kommen, wie Chip.de im Test bestätigt. Von den dreisten Lügen in den konzerneigenen Online-Shops, in 2-3 Werktagen zu liefern, ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass die Familie ihr ungeliebtes Schmuddelkind lieber heute als Morgen loswerden will und clevere Pressesprecher lieber heute denn morgen zur Mutter nach Bramfeld flüchten ...

Die Corona-Fakten sprechen eine eigene Sprache: Tausende jetzt wegfallender Jobs bei Airbus, Galeria, Lufthansa Industry Solutions und Lufthansa Technik, über 90.000 bereits arbeitslose Hamburger - gut 30% mehr als vor einem Jahr -, 368.000 Kurzarbeiter bei 24.000 Betrieben in Industrie, Hafen, Logistik und Medien - das sind fast 40% aller 1 Mio. Arbeitnehmer an Alster und Elbe. Die Zahlen zeigen der Freien und Hansestadt, über Jahre hinweg die Augen vor der Wahrheit - insbesondere der allumfassenden Digitalisierung ihrer Industrien, Dienstleistungsbranchen und der Gesellschaft - verschlossen und den Menschen rot-grünen Öko-Sand in die Augen gestreut zu haben.

Bedrohte Galeria Filiale im AEZ Shopping-Center Hamburg Pfuhlsbüttel.
Von der Schließung bedrohte Galeria im ECE-Shoppingcenter AEZ.
Foto: HANSEVALLEY

Die Beispiele sind erst der Anfang: Mit Mietausfällen, Ladenkündigungen und rückläufigen Umsätzen steht die ECE als nächster Kandidat aus der Otto-Familie zur Restrukturierung an: Hamburgs Einzelhändler melden laut City-Managerin Brigitte Engler Umsatzeinbrüche von 35-40%. Vom Wegbruch des für die eigenen “Schäfchen” genutzten Gewerbeimmobilienmarktes durch 30% weniger Büroarbeitsplätze und 50% weniger Geschäftsreisen - wie von Allianz-Chef Oliver Bäte provezeit - sowie de facto 75% Einbrüchen bei Hotelübernachtungen ganz zu schweigen. So viele Büro- und Gewerbeimmobilien in Hamburger Alt- und Neustadt können gar nicht in bezahlbare Wohnungen umgewandelt werden. Womit es ans Eingemachte selbstherrlicher Pfeffersäcke, ihrer Makler, Verwalter, Anwälte und Notare geht. Willkommen in der Krise.


Hamburgs Senats-Chefvernebler “WildWestWasserstoffMan” aka Michael Westhagemann übt sich noch in Selbstbeweihräucherung für das großzügige Verteilen von Bundeshilfen, während 1.600 Unternehmer durch den Shutdown bereits zu Sozialfällen wurden und der Export u. a. über den Hamburger Hafen im April und Mai d. J. jeweils um 30% eingebrochen ist. Das ist der ganze Blick auf die Krisen- und Katastrophenstadt Hamburg, deren vermeintliche Musterschüler Otto & Co. längst wanken und keinen Plan haben, wie sie nach Verlust der Medien- und Internethauptstadt nun den Bedeutungsverlust der Handels- und Logistikmetropole verhindern können. Stattdessen versucht man es mit Unisex-Toiletten auf dem Otto-Campus und fremden Starship-Robotern auf der “letzten Meile” - weil man damit ja die Handelskriege von Amazon und Alibaba gewinnen kann ...

Starship Roboter im Hermes Praxis-Test in Hamburg.
Mit Starship-Robotern in Hamburg im Kampf gegen die Plattformen.
Foto: Hermes Logistik


Hamburg Digital Background:

HANSEINVESTIGATIV: Die Machenschaften des Otto-Marktplatzhändlers Alexander Mendler.

HANSECHAMPIONS: Otto.de macht ernst mit digitalem Firmenumbau.

HANSECHAMPIONS: Die visionären Trüffelsucher der digitalen Otto Group
hansevalley.de/2018/04/hansechampions-otto-group-innovationen.html

HANSERANKING: Die digitalen Tops + Flops der Hamburger Wirtschaft
hansevalley.de/2018/04/hanseranking-tops-und-flops.html

HANSEMOBILITY: Das Mobile Lab und die Zukunft der Otto Group
hansevalley.de/2017/10/hansemobility-otto-mobile-lab.html