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Samstag, 20. Oktober 2018

HANSEFINANCE: Alles Fintech - oder was?

HAMBURG DIGITAL STATEMENT
- von Autor Gerd Kotoll -

Fintechs bieten smarte, schnelle und schlanke Lösungen für…. ja, für wen eigentlich? Ah, na klar: für die Digital Natives, also den vermutlich nicht ganz so hoffnungslosen Teil der Generation Y. Mit mantraartigen Beteuerungen wird auf das Wachstum in dieser Zielgruppe verwiesen – auch wenn das im Widerspruch zur demografischen Realität steht. Aber was soll’s, Storytelling halt. 

Eigenwerbung N26 Bank, Berlin

Mit Blick auf die Demografie im Lande wird deutlich, dass die einzig wirklich stetig wachsende Bevölkerungsgruppe die der Generation 60+ ist. Für die ist das Internet zwar nicht mehr grundsätzlich Neuland, aber wirklich internetaffin sind diese Menschen in der Regel eben nicht. Ein Hamburg Digital Statement von Gerd Kotoll anläßlich der Fintech Week in Hamburg:


Die Zielgruppe, die Fintechs ansprechen wollen, sind Individualisten, die Wert auf Nachhaltigkeit legen und alles Mögliche sein wollen – nur nicht Teil der anonymen Masse, Mainstream wohlmöglich (Oh, wie gruselig!). Man fühlt sich hingezogen zu den Trendsettern und Meinungsmachern, die sich natürlich auch politisch engagieren – also bei Hanseatic Help oder so, in Parteien aber lieber nicht, denn die sind "bäh". 

Startups: "Fake it till you make it."

Also, anders sein ist wichtig, auf Seiten der potentiellen Kunden wie bei den Fintechs selbst, denn DAS ist das disruptive Element: anders sein. Das ist dann automatisch auch besser. Ganz bestimmt. Tatsächlich kommt fast täglich, naja: wöchentlich, also… monatlich aber bestimmt eine neue Idee raus, die dann mit viel Marketing-Dollars (irgendwie mit Medien) durch den virtuellen Markt getrieben wird. Und manchmal, das muss man sagen, gehen die echt viral!

Bei genauerer Betrachtung sind das dann aber oft doch nur Produkte von der Stange: standardisiert - und zwar maximal. Das kann auch nicht anders sein, wenn das Geschäftsmodell auf Skalierung angelegt ist. Das ist völlig in Ordnung. Nur, Individualität ist es eben nicht. Macht aber nichts, ist bislang kaum jemandem aufgefallen. Wichtig ist ja, beim "neuen heißen Scheiss" dabei zu sein.

N26: "Bullshit without Banking?"

Nur dass diese scheinbar so verantwortungsbewusste Generation der Digital Natives sich derart veralbern lässt, wundert dann schon. Beispiel gefällig? Gern! N26 zum Beispiel. Vor drei Jahren hätte man die noch fürs dritte Programm eines Nachrichtensenders gehalten. Die laut Fachjargon "Neo-Bank" plakatiert derzeit „Deine Bank verarscht Dich“, und versucht damit WAS zu werden? Genau, die Bank der Plakat-Leser. Wirklich, #nobullshit. 

Eigenwerbung N26 Bank, Berlin

N26 versteht sich als Mobile-Bank, also eine Bank - mit Bank-Lizenz. Und wie jede andere Bank auch, wird N26 Geld verdienen müssen, #nobullshit. Man mag das irritierend finden, aber N26 sagt: Eure (bisherige) Bank verarscht Euch. Lasst uns doch Eure neue Bank sein. Wir machen dann weiter (mit der "Verarsche"?). 

Wie schwer Bank sein ist, erfahren die österreichischen Gründer gerade durch die BaFin, die das in Deutschland unzulässige Foto-ID-Verfahren von N26 hochnimmt. Da gesellen sie sich gleich mal in eine Reihe mit Revolut, der britischen Version einer - Zitat T3N - "Challenger Bank". Aber mit Produkten, die einen klitzekleinen, aberentscheidenden Denkfehler haben, kennen sich die Wiener Eliteabsolventen ja bereits aus - Stichwort: Kinderkreditkarte "Papayer". Lohnt sich zu googeln ...

Eigenwerbung Haftpflichthelden, Hamburg

Da sind die Hamburger Haftpflichthelden schon ein gutes Stück weiter. Zunächst mal ist das ein sehr ordentliches, gutes und leistungsstarkes Produkt. Aber mit finanziellem Konzept hat das eben nichts zu tun. Beratung? Fehlanzeige! Hier werden Policen der NV-Versicherung an die Generation Y vertrieben. Okay, es sind nur Haftpflichtversicherungen, aber auch da kann man, mit dem Blick lediglich auf die Prämie, ärgerliche Fehler machen. Da kommt die Disruption dann von völlig unerwarteter Seite.

Alles jetzt so schön online und digital.

Getsurance bringt dafür jetzt die erste voll online abschließbare Versicherung gegen Berufsunfähigkeit auf den Markt. Okay, bei einigen etablierten Versicherern kann man das auch schon, auch schon vor Getsurance. Aber hey, irgendeine Story muss ja erzählt werden. War auch höchste Zeit, dass das jetzt ganz ohne Berater geht mit diesen BU-Versicherungen, von denen die Mehrzahl der Menschen glaubt, dass die im Zweifel eh nicht zahlen. Und auf "Only pur" ist sogar die Stiftung Warentest im "Schnelltest" reingefallen.

Eigenwerbung Getsurance, Berlin

Seht mal, was für Versager diese Versicherungsfritzen sind! Nichtskönner! Das wird jetzt alles anders. Der Markt wird mal so richtig durchgeschüttelt und die Durchdringung dieses Produktes mit ekelig langen und in unverständlichem Versicherungsdeutsch verfassten Bedingungswerken von derzeit mageren gut 25% BU-versicherter Bevölkerung auf, also mindestens…, wenn nicht noch mehr angehoben. Per Mausklick. Eben mal so. Wenn die Verbraucherzentrale Hamburg die Versicherung nicht auseinandergenommen hätte ... Kann ja keiner ahnen, dass der Teufel in den Vertragsdetails steckt.

Vielleicht ist der Bottleneck aber nicht so sehr die Technik, sondern doch die – größtenteils immer noch fehlende - Erkenntnis der Menschen, dass es Sinn macht, um die 100,- € im Monat in die Hand zu nehmen zur konzeptionellen Absicherung ihres relevantesten Risikos im Erwerbsleben. Und zwar wohl wissend, dass die gezahlten Prämien weg sind, wenn das Risiko nicht eintritt. Beratung? Konzept? Im Streitfall sitzt die Squarelife-Versicherung des Vermittlers Getsurance in Liechtenstein. Dumm gelaufen - für den Versicherten.

Eigenwerbung Ottonova, München

Kommen wir zur privaten Krankenversicherung, auch da gibt es Neuigkeiten: z. B. von Ottonova. Schick, frech, online. So unerklärlich wie die Namensgebung ist es dann wohl auch, dass die Tarife dieses neuen Versicherers eher digitale Ladenhüter sind (kann man den Begriff noch nehmen?). Am Bedingungswerk kann es nicht liegen. Höchstens zu Anfang, da waren die nicht sooo toll. Aber da hat man nachgebessert, auch nicht unintelligent. Damit sind die Tarife aber erklärungsbedürftig geworden. 

Ob das der Grund ist, warum die Beitragseinnahmen in 2017 rund 31.000,- € betragen haben? Im Bereich der privaten Krankenvollversicherung bei angenommenen 500,- € Beitrag im Monat sind das immerhin…. äh, ja, doch 5, also in Worten: fünf Versicherte. Hey, keine Häme bitte, jeder hat mal klein angefangen und private Krankenversicherung ist ein hartes Vertriebspflaster, keine Frage. Vielleicht kann Fernseh-Löwe Frank Thelen nach Flugtaxis und Blockchain ja auch Krankenversicherungen hochjazzen.

"Scale or Fail" - man weiß es nicht genau ...

Zur Wahrheit gehört, dass die Lunte der Skalierungsrakete oftmals ziemlich lang oder zwischendrin ein klein bisschen nass geworden ist, von verspätetem Nachtanken - sprich nächster VC-Runde - einmal abgesehen. Denn die für 2018 in der Bilanz abgegrenzten Vertriebskosten von etwa gut 250.000,- € bedeuten etwa 50 bis 60 neue Kunden. Mal sehen, wie dieses Jahr läuft für "Otto" und ob er dann noch "nova" aussieht.

Bezeichnender Weise ist laut einer jüngsten Umfrage die Zielgruppe dieser Unternehmen - also Hipster-Vollbärte - in Geldangelegenheiten immer noch erstaunlich spießig. So wollen sich zwei Drittel der 24 bis 39-Jährigen zwar im Internet informieren, dann aber mit diesem so erworbenen "Wissen“ (das kann ich jetzt kaum so nennen) erstaunlicher und erschreckender Weise bei ihrem Bankberater die Anlagen tätigen. Was wohl die Berater bei N26 dazu sagen? Ach ja: Die haben ja gar keine. Filiale ist ja so Neunziger, #nobullshit.

Klassische Haspa-Werbeträger Parkbank und "Manni", die Maus
Foto: HANSEVALLY

Wie nötig gute und konzeptionelle Beratung tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Jahresstatistik der Bundesbank: Die vielleicht nicht beliebtesten aber dennoch volumenstärksten Anlagen sind ... Tagesgelder und Sparbücher. Sicher ist sicher! Man will ja kein Geld verlieren. Deswegen ist man schlau und legt nichts auf dem Aktienmarkt an. Viel zu unsicher. Auf der Bank, da weiß man, was man hat. Einen sicheren Zins nämlich. Da stört die Inflation auch nicht, die real das Geld vernichtet. Inflation hat man ja nur beim Einkaufen.

Vielleicht ist es ein PISA-Problem. Denn es hat sich offensichtlich noch nicht überall herumgesprochen, dass mit 0,03% p.a. Guthabenzins eine Inflation von 1,8% p.a. eben nicht zu schlagen ist: 'Wo ist das Problem, mein Geld ist doch noch da', winkt der clevere Kleinanleger mit seinem guten alten Sparbuch. Garantiert ist hier nur, dass das Geld am Ende des Jahres weniger wert ist. Das ist die Cash-Burn-Rate des kleinen Mannes.

Hippe Produkte für die Generation Hipster?

Während keine Lebensversicherung ein Problem mit dem Rentenversprechen hat, also tatsächlich lebenslang die Rente zahlen wird und von klassischen Lebensversicherungen aktuell noch 2,5 % p.a. Kunden gutschrieben wird, ist diese Produktart natürlich Teufelszeug. Denn eine Rentenversicherung ist träge und behäbig - und kein hippes Produkt für die Generation Y.

Frisches Geld fließt daher vor allem in Produkte mit Fonds oder Index-Orientierung – und das sind ja die guten Produkte, sagen jedenfalls die Experten. Genau deshalb gibt es auch kein Insuretech-Startup, keine Neugründung, die nicht Abspaltung und Anhängsel etablierter Gesellschaften wäre – oder in ihrem Auftrag Produkte unter die Leute bringt. Ist das die schöne neue Startupwelt der disruptiven Nachwuchsunternehmer, die unsere Welt retten wollen?

Eigenwerbung MyLife, Göttingen
Sicherheit oder mal was richtig Neues?

Moment…. Da ist doch die MyLife. Erst wenige Jahre am Markt, mit Netto-Tarifen, also Tarifen, die fast ohne Vertriebskosten daherkommen, hat MyLife sich wiederholt Platz 1 in der Statistik gesichert. Ups! Das ist ja die Statistik der höchsten Storno-Quoten. Und wenn diese Quote 20% und mehr beträgt, dann ist die Kundenabstimmung mit den Füßen sicher kein Zeichen für Qualität und Rendite-Ergebnisse.

Tatsächlich lassen sich für jedes Produkt genauso viele Argumente dafür wie dagegen finden. Es hängt ganz wesentlich von der jeweils individuellen Situation des Kunden - des Anlegers oder Versicherten - ab. Eine Beratung, die aktiv den sich wandelnden Lebenssituationen der Kunden in den Blick nimmt, findet aber nicht statt. Weil man Individualität eben nicht skalieren kann.

Deswegen sind Single-Product- oder Single-Solution-Startups gut beraten, wenn sie das erste Exit-Angebot annehmen, das ihnen auf den Tisch flattert. Dauerhaft allein am Markt zu bestehen wird den allerwenigsten gelingen. Nur wer wirklich Nutzen schafft oder Probleme für Kunden nachhaltig löst, wird dauerhaft bestehen können – immer unterstellt, dass man es schafft, sich an die wandelnden Bedürfnisse der Kunden und anderer Markterfordernisse anzupassen. Wer das nicht schafft, wird schnell feststellen, dass es nicht ausreicht, mit einer Menge Marketing-Wirbel ein Fintech hochjazzen zu wollen.
* * *


Über Gerd Kotoll:

Hamburg Digital Autor Gerd Kotoll
Foto: HANSEVALLEY
Als unabhängiger Makler berät Gerd Kotoll hauptberuflich Vereine, Verbände und Unternehmen in Fragen der Absicherung. Besonderen Fokus legt er auf junge Unternehmen und Startups. Parallel vernetzt er Entrepreneure mit Partnern und Kunden - und berichtet von ausgewählten Events im Ökosystem der Hamburger Startup-Szene. 


Gerd Kotoll bei XING
Bernhard Assekuranzmakler





 Hamburg Digital Autoren: 

HANSECRIME: Cybercrime - das vermeintliche Risiko fürs Unternehmen!?hh.hansevalley.de/2018/08/hansecrme-cybercrime-das-vermeintliche.html

HANSESTARTUPS: Sperrig – dreckig – schwer: Movemates@Hackers & Founders
hh.hansevalley.de/2018/05/hansestartups-movemates.html

HANSEREPORT: #HanselabX – Hier wird Zukunft gemacht ...

Sonntag, 11. Februar 2018

HANSEPERSONALITY Helmut Gerhards: Wir erarbeiten für unsere Kunden eine elektronische Gesundheitsakte.

HAMBURG DIGITAL INTERVIEW

72 Mio. Deutsche sind Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung. Hamburg ist mit der AOK Rheinland-Hamburg, Deutscher Angestellten-Krankenkasse, Hanseatischer Krankenkasse, Securvita Krankenkasse und Techniker Krankenkasse einer der großen Versicherungsstandorte der Republik. Doch die digitale Sturmflut kommt auch auf Hamburg zu: Private Anbieter wie "Amazon Health Care", "Ottonova" und "Oscar" zeigen, woher der Wind weht.

400.000 Mitglieder zählt Deutschlands Nr. 3 - die DAK Gesundheit - an Alster und Elbe. 1,3 Mio. Versicherte und ihre Familien vertrauen der Ersatzkrankenkasse im Hanseraum. Chief Digital Officer und IT-Stratege Helmut Gerhards hat sich mit seinem Team vor 1,5 Jahren auf den Weg gemacht, die Krankenkasse aus Hammerbrook durch den digitalen Sturm zu navigieren. Unser HANSEPERSONALITY ist DAK-Chefdigitalisierer Helmut Gerhards:


Helmut Gerhards: Sie haben zwei erwachsene Söhne von 26 und 27 Jahren, die als junge, digital aktive Mitglieder der DAK Vorbild seien können, wohin die Reise der drittgrößten Krankenkasse mit 5,8 Mio. Mitgliedern geht. Was lernen Sie als Chief Digital Officer und IT-Strategiechef der DAK von Ihren Söhnen für den digitalen Wandel der Krankenkasse?

Nun, zunächst einmal leben wir in einer spannenden Zeit, in der wir eine kommunikative Revolution erleben - und dies durchdringt unseren Alltag, auch in meiner Familie, mit rasender Geschwindigkeit. Meine beiden Söhne haben Informatik studiert und kennen keine Telefonwählscheiben. Zudem schreibt von der jungen Generation auch keiner mehr einen Brief.

Alleine diese beiden Beobachtungen müssen uns aufhorchen lassen, welches veränderte Kommunikationsverhalten in den nachfolgenden Generationen auf uns – und bald ja ausschließlich - auf Unternehmen zukommen wird. „Allways on“ und „Echtzeit“ bestimmen den Takt und revolutionieren ganze Geschäftsmodelle. Für die DAK-Gesundheit bedeutet dies natürlich vor dem Hintergrund unseres Anspruches, Qualitätsführer zu sein, ein Neudenken bisheriger Prozesse. Dies machen wir konsequenterweise aus Kundensicht.


Gehen wir in die Vollen: Das Holtzbrinck-Venture "Ottonova" und die Google-Schwester "Oscar" zeigen, wie digitale Krankenversicherung künftig geht: Digitaler Arztbesuch, digitale Diagnosen, digitaler Krankenschein, digitale Therapiebegleitung. Sie haben rd. 2,4 Mio. Senioren als Mitglieder sowie rd. 2,5 Mio. chronische Patienten. Wie können Sie den digitalen Wettlauf gewinnen?

Die neuen disruptiven Player am Markt haben in der Tat den Vorteil einer „Neugründung auf der grünen Wiese“ und können sich komplett auf ein volldigitales Geschäftsmodell konzentrieren. Wir bestehen seit 245 Jahren und haben eine gewachsene Struktur und richtigerweise sehr heterogene Kunden: vom Digital Native bis zum Pflegebedürftigen müssen wir eine durchgängig gute Betreuung und Versorgung sicherstellen. 

"Diagnostische Verfahren mit digitalen Anwendungen unterstützen"

Dies gelingt uns, in dem wir unser Geschäftsmodell „hybrid“ umgestalten und ausbauen. Wir bieten unseren Kunden z. B. eine Online-Filiale an, in der die Hauptprozesse unserer Kunden volldigital abgebildet sind. Kein langes Fahren und Warten, damit Zeit gewinnen - einfach und bequem vom Sofa aus. 

Bezogen auf die Versorgung arbeiten wir an digitalen Versorgungsangeboten, die dem Kunden ein Stück mehr Lebensqualität verschaffen, indem wir auch hier die Abläufe digitalisieren und teilweise auch diagnostische Verfahren mit digitalen Anwendungen unterstützen. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist das Modell der chronischen Wundversorgung zusammen mit dem UKE Hamburg. Hochspezialisierte Fachleute des UKE unterstützen dabei die ambulante Versorgung, indem sie digitale Fotos der Wunden und des Heilungsverlaufs bewerten und ihre niedergelassen Kollegen beraten.

Bleiben wir bei Ihrer IT: Sie haben Ihre EDV in die Tochter "Bitmarck" von DAK, BKKn und IKKn ausgelagert. Ab September 2018 werden gut 9.000 Mitarbeiter an bundesweit 350 Standorten über das neue DAK-System "Bitmarck 21c/ng" Leistungen im Wert von jährlich mehr als 20 Mrd. € managen. Wie digital und automatisiert ist die 1776 gegründete Krankenkasse bereits?

Mit der Umstellung der Kernanwendung auf 21c/ng setzen wir ab September 2018 auf ein integriertes Vollsystem modernster Art, dass im Bitmarck-Verbund mit ca 100 anderen Krankenkassen genutzt wird. Workflowgestaltung, Dunkelverarbeitung und Datenaustausch sind dann der Standard.


DAK-Sprachdialogsystem mit semantischer Erkennungslogik

Wir haben bereits vor einigen Jahren den kompletten Posteingang im Unternehmen in drei Digitalisierungszentren konzentriert und überführen die gewonnenen Daten in Dunkelverarbeitungsverfahren. Selbst ein so kompliziertes Verfahren wie ein Antrag auf Zahnersatz wird heutzutage von uns eingelesen und in der Dunkelverarbeitung „autogenehmigt“ - und dies mit einer Quote von fast 80 Prozent der Anträge. Zudem setzen wir an der Schnittstelle Scan-Fachverfahren schon Anwendungen der künstlichen Intelligenz ein.

Wichtig ist aber auch die Digitalisierung der Kundenschnittstelle. Bundesweit setzt die DAK-Gesundheit als erste und einzige Krankenkasse seit April 2017 ein Sprachdialogsystem ein und steuert mit semantischer Erkennungslogik das Telefonrouting, das ebenfalls dem „all-over-ip-Konzept“ folgt. Dies bauen wir aktuell auf ein Omnikanalmanagement aus, damit der Kunde zukünftig auch zwischen den Kanälen wechseln kann - ohne Informationsverlust. 


Ihr großer Hamburger Wettbewerber, die Techniker Krankenkasse, ist mit der "TK-App" auf dem Weg, eine persönliche Patientenakte auf dem Smartphone zu platzieren. Die DAK bietet mobil eine Scan-App und einen viel beachteten Pflegeguide an. Möchten Sie Ihren Söhnen und anderen jüngeren Mitgliedern nicht auch die rd. 75 Services Ihres Online-Portals mobil anbieten?

Wir entwickeln aktuell für unsere Kunden noch viel mehr: Die Kunden der DAK werden zukünftig Ihre DAK-Gesundheit in der Hosentasche als Service-App haben. Hier vernetzen wir dann die verschiedenen Services. Unser Kunde kann selber die Inhalte konfigurieren und für die Life-Style-Ecke gibt es dann auch den persönlichen Gesundheitsscore. Über diese App können sie dann auch die Funktionen unserer Online-Geschäftsstelle inklusive der automatisierten Prozesse nutzen.

Neue DAK-Service-App mit selbst konfigurierbaren Inhalten

Ziel ist es, unseren Kunden in allen Lebenslagen zur Seite stehen zu können. Letztlich bestimmt der Kunde, wie digital seine Beziehung zu uns ist und ober er die lieber mobil oder über den Desktop oder doch lieber persönlich gestaltet.

Ihre Digital-Strategie sieht - wie bei anderen Unternehmen - die drei Schritte 1. Digitalisierung der Geschäftsprozesse, 2. Digitalisierung des persönlichen Kontakts und 3. Digitalisierung von Produkten vor. Schauen wir in die Zukunft: Was können wir von der "Digitalen Angestellten Krankenkasse" in Zukunft bei Prävention und Behandlung erwarten?

Ich stelle die These auf, dass sich das Krankenkassengeschäft sehr stark auf den Bereich der Prävention und der Gesunderhaltung ausdehnen wird. "Dr. Google" kennen wir schon, aber die Datenanalytik wird noch ganz andere Möglichkeiten bieten. Prominentestes Beispiel für Behandlung aufgrund einer Datenanalyse ist dabei wohl Angelina Jolie.


"Für Familien sehen Angebote anders aus, als für Singles."

Wir müssen also auf die Erwartungen einer zunehmend auf Prävention und Gesundheit orientierten Gesellschaft reagieren. Zukünftig werden unsere Kunden gerade im Bereich der Gesunderhaltung neben unseren bisherigen digitalen Coaching-Angeboten zu den Themen Ernährung, Stress und gesunder Schlaf auch weitere lebensphasenbezogene Digitalangebote mit Schnittstelle zu einer Vielzahl von Sensoren nutzen können. Dabei werden die Angebote auf individuelle Lebenssituationen zugeschnitten. Für Familien mit Kindern sehen sie anders aus, als für Singles.

Auch die aktuellen digitalen betrieblichen Gesundheitsmanagement-Angebote für die Beschäftigten bauen wir Zug um Zug aus. Wir koppeln das physische Angebot z. B. von Rückenschul-Trainings demnächst mit digitalen Angeboten. Letztlich entscheidet auch hier der Kunde dann, ob er einen Rückenkurs besucht, das digitale Angebot oder beides nutzt.

Sie haben für Ihre Mitglieder eine digitale Akte, Arztpraxen haben künftig digitale Patientenakten, Versorgungsnetzwerke haben digitale Informationen und Kommunikation, im UKE und immer mehr Kliniken gibt es eine digitale Fallakte. Wenn immer mehr Angebote digital verfügbar ist, wie wird daraus eine digitale Versorgungskette im Interesse des Mitgliedes?

Das Zauberwort heißt „ Interoperabilität“. Das Thema der Vernetzung ist auch in der neuen Regierung bzw. im Koalitionsvertrag hoch priorisiert. Es darf nicht sein, dass jeder für sich eine proprietäre Lösung bastelt und der Datenfluss dann nicht mehr funktioniert.

"eGesundheitsakte, mit der der Kunde Gesundheitsmanager sein kann."

Wir setzen bezüglich der Datentransfers klar auf die Entwicklungen der elektronischen Gesundheitskarte der Gematik. Diese muss den Austausch der Arztdaten zunächst einmal sicherstellen. Zudem soll die eGK auch eine Patientenakte und ein Patientenfach beinhalten. Allerdings fehlt dieser übergeordneten Infrastrukturlösung die Möglichkeit der Personalisierung bzw. der Individualisierung z. B. der Versorgungsangebote.

Wir wiederum erarbeiten zurzeit für unsere Kunden eine elektronische Gesundheitsakte (eGA), mit der der Kunde sein eigener Gesundheitsmanager sein kann: Seine Gesundheits- u und Vitaldaten kann er dort ebenso ablegen, wie seine Medikamenteneinnahme dokumentieren. Diese sehr individuelle eGA wird gegen die Schnittstelle der eGK der Gematik entwickelt, sodass eine Interoperabilität und der Datentransfer untereinander gewährleistet wird.

Ich komme zurück zur privaten Debeka-Beteiligung "Ottonova" und "Oscar" von Google: Ihnen ist mein Nokia-Fitnesstracker am Handgelenk aufgefallen. Sie planen Präventationsangebote in ihre 2. Service-App zu bringen. Wenn Vitaldaten und Risikomanagement, Konsultationen und Kundendialog, Genehmigungen und Abrechnungen digital möglich sind: wie sieht die digitale Krankenkasse der Zukunft aus?

Das Geschäftsmodell der Krankenkassen wird sich schleichend vom hybriden zum volldigitalen Modell entwickeln. Sie werden also in nicht ganz so weiter Ferne alle Anliegen volldigital realisieren können. Dazu zählt übrigens auch die Orchestrierung von Versorgungsprozessen, die unseren Kunden heute noch viel Aufwand und Mühe kosten. Warum soll ein Patient mit einer chronischen Wunde mehrfach in die Praxis fahren, wenn es möglich ist, per Smartphone täglich ein Bild in die Praxis zu schicken. Das ergibt sogar den Vorteil, dass der behandelnde Arzt einen täglichen Verlauf der Wunde verfolgen und den richtigen Interventionszeitpunkt bestimmen kann.

"Der Patient wird bestimmen, welche Daten nutzbar gemacht werden."

Zudem sehe ich eine klare politische Stärkung der Patientensouveränität – der Kunde und Patient wird bestimmen, welche Daten für ihn nutzbar gemacht werden sollen, mit welchem Arzt er seine Daten teilen will oder auch nicht. Zunehmend können aus einfachen Vitaldaten sehr gute Empfehlungen für das Verhalten und somit als Beitrag zur Gesunderhaltung gegeben werden. Das ist auch eine Bereicherung für die Versorgung durch den niedergelassen Mediziner. Wir haben dazu gerade eine Untersuchung vorgelegt, die zeigt, dass hier bei den Medizinern eine große Offenheit besteht, derartige Innovationen zu nutzen.

Allerdings muss hier der Missbrauch ausgeschlossen werden: Ich gehe davon aus, dass es klare Regelwerke geben wird, wenn z.B. Vitaldaten als Rückschluss für Risikomanagement und Tarifierungen genutzt werden sollen. Die DAK-Gesundheit darf dies wie alle gesetzlichen Krankenkassen heute schon nicht, da dies ein klarer Verstoß gegen das Solidarprinzip der Krankenkassen wäre. Und das ist auch gut so. 


Unsere traditionelle Hamburg-Frage:

Sie haben in Hammerbrook rd. 1.400 Mitarbeiter, in Landesvertretung, Leistungsabteilungen und in der Kundenbetreuung rd. 600 Mitarbeiter. Hinzu kommen rd. 500 Mitarbeiter in Ihrer Hamburger IT-Tochter "Bitmarck". Hand aufs Herz: Was wünschen Sie sich als großer Anbieter an der Alster vom Senat, damit die Digitalisierung im Gesundheitssektor erfolgreich wird?

Als großer regionaler Player in der Metropolregion Hamburg sind wir natürlich an einer guten Vernetzung zwischen Politik, Wirtschaft und Bildung sehr interessiert. Die Stadt Hamburg setzt mit der Initiative „Digital First“ und der Ernennung des ersten CDO - Herrn Christian Pfromm - die richtigen Weichen. Auch die Stadt schaut zunehmend aus der Kundenperspektive auf die Prozesse und Strukturen und ich glaube, dass sich hier noch viele gemeinsame Wege gehen lassen. 

Einfach Adressänderung mit der Freien und Hansestadt

Ob im Bereich der Innovationsentwicklung als auch in der Serviceentwicklung: Oftmals haben wir ein- und denselben Kunden. So ist aus der Kundensicht eine einfache Adressänderung nur einmal zu melden - und dann müsste er entscheiden können, ob dann auch gleich diese Information bei der Krankenkasse ankommen soll. Auch gemeinsame Gesundheits- oder Bildungsinitiativen könnte ich mir gut vorstellen. 

Mein Wunsch wäre, daran zum Wohle der Bürger und Kunden zu arbeiten und das Leben für alle etwas angenehmer und gesünder zu gestalten. Dabei sollten wir die gesellschaftspolitische Verantwortung der Digitalisierung nicht aus den Augen verlieren.


*  *  *

Vielen Dank für die offenen Antworten!

Das Interview führte Thomas Keup.


 Hamburg Digital Background: 


Chief Digital Officer und DAK IT-Stratege Helmut Gerhards:
www.xing.com/profile/Helmut_Gerhards3

DAK-Digitalisierungsreport 2018:
www.dak.de/dak/bundes-themen/aerzte-befuerworten-e-health-loesungen-1963670.html

Mobiler Angehörigenbegleiter "DAK-Pflegeguide":
www.dak.de/dak/leistungen/app-dak-pflegeguide-1863678.html

Digitales Pilotprojekt "Netzwerk Leben Plus" in Hamburg:
www.die-freien-hh.de/pressemitteilung/details/hamburger-pilotprojekt-netzwerk-lebenplus-startet-laenger-selbststaendig-und-selbstbestimmt-leben/ 

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Datenmigration für 5,8 Mio. Versicherte durch Bitmarck:
www.cio.de/a/dak-migriert-daten-bei-it-grossprojekt,3260844

Nationaler IT-Dienstleister "Bitmarck" (für BKKn, DAK und IKKn):
 https://www.bitmarck.de/

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Private Krankenversicherung "Ottonova" (Holtzbrinck-Venture):
www.ottonova.de/

Private Krankenversicherung "Oscar" (Google-Konzern Alphabet):
www.hioscar.com/

Ankündigung "Amazon Health Care" mit Berkshire & J. P. Morgan
www.finanzen.net/nachricht/aktien/gesundheitsbranche-healthcare-aktien-unter-druck-berkshire-hathaway-amazon-und-jpmorgan-formen-giganten-5942005