Ein HAMBURG DIGITAL STATEMENT
von Gerd Kotoll
Schockwellen nach der Europawahl, Erdbeben in der SPD – da kann die CDU Hamburg nicht untätig bleiben ... und sorgt an Alster und Elbe ebenfalls für durchschlagene Erschütterungen. Das Epizentrum der strategischen Verwerfung ist der Kreisverband Eimsbüttel, genauer gesagt, der Ortsverband Niendorf. Ein Hamburg Digital Statement aus dem inneren Zirkel der bürgerlichen Opposition Hamburgs.
"Hamburg besser machen" war und ist das Motto meiner politischen Arbeit. Dennoch werde ich mich nicht erneut um ein Wahlkreismandat bewerben, um Lokstedt, Niendorf und Schnelsen auch in der kommenden Legislatur in der Hamburgischen Bürgerschaft zu vertreten." Mit diesen Worten verabschiedet sich der Hamburger Digitalpolitiker Carsten Ovens in seinem Blog am Dienstag von der politischen Bühne.
Was war da wirklich los? Der Niendorfer Ortsvorstand hat mit 13:3 Stimmen beschlossen, dass der einzig sprechfähige CDU-Kopf im Elbvalley zu Fragen der Digitalisierung, zur Blockchain und zu KI nicht mehr auf dem sicheren ersten Platz der Wahlkreisliste zur Bürgerschaftswahl im kommenden Frühjahr gesetzt werden soll. Basta!
Nachdem schon die - sagen wir mal - etwas sehr "unbeholfene Reaktion" der Bundes-CDU auf ein "Influencer"-Video eines blauhaarigen YouTube-Comedians für Kopfschütteln sorgte, steht der Kopf auch bei dieser Entscheidung entgegen aller Versuche einfach nicht still.
Carsten Ovens organisiert regelmäßig Veranstaltungen mit dem Startup-Bundesverband in Hamburg, pflegt einen engen Austausch zur lokalen Gründerszene und gibt nicht nur Floskeln zu Technologie-Themen zum Besten.
Der 37-jährige Hamburger betreibt ernsthaften inhaltlichen Austausch. Bislang ist in der Hamburger CDU niemand in Erscheinung getreten, der über vergleichbares Know how verfügt. Von den guten Verbindungen ins Startup-Land Nr. 1 - Israel - ganz zu schweigen.
Die Personalauswahl – noch so ein Schwachpunkt der CDU
An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie dünn die Personaldecke der Hamburger Christdemokraten ist:
Während sie Bürgermeister Tschentscher partei-intern (zu Recht) als Dritte Wahl in der Scholz-Nachfolge titulierten, nachdem Andreas Dressel und Melanie Leonhard aufgrund persönlicher Befindlichkeiten abwinkten, konnte auch die CDU mit Marcus Weinberg erst im dritten Versuch einen Spitzenkandidaten finden (wenn auch mit dem Unterschied, dass gesundheitliche Gründe bei zwei vorher gehandelten Personen den Ausschlag gegeben haben, nicht anzutreten).
Ob ein Kandidat, der als ehemaliger Landesvorsitzender vor rd. zehn Jahren eine Halbierung des Wahlergebnisses mitzuverantworten hatte (von dem sich die Partei immer noch nicht wieder erholt hat), der richtige Kandidat ist, den mittlerweile noch tiefer im Dreck steckenden Karren wieder flott zu machen, kann man dahingestellt sein lassen.
War der personelle Aderlass der Fraktion - durch Rücktritte und Verschiebungen der Prioritäten weg von der Politik - seit dieser Zeit bereits schmerzhaft, wird sie künftig durch die Entscheidung eines Ortsvorstands nochmals geschwächt - personell wie fachlich.
Lieber formales Quorum als inhaltliche Kompetenz
Eine Partei, die mangels zugkräftiger Themen und Köpfe, potentiell darum kämpft, nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit zu landen, macht sich obendrein mit einer realitätsuntauglichen Quorums-Vereinbarung selbst das Leben noch schwerer, als ohnehin schon.
Wenn das Geschlecht - wie offiziell verkündet - mehr Bedeutung hat, als thematische Kompetenz und damit inhaltliche Relevanz, dann gibt die Partei ihre Zukunftsfähigkeit zugunsten einer von anderen definierten Beliebigkeit vor der Wahlkabine ab. Eine Kapitulation vor dem Zeitgeist ist aber das Letzte, was der Wähler wirklich will.
Da ist es intelligenter, in den Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" einzutreten, wenn der politische Gegner als Idee lediglich aufbietet, die Stadt zum Dorf zurück entwickeln zu wollen. Damit muss man den Gegner aber erstmal stellen (wollen).
Das ist auch bei den Hamburger Liberalen angekommen. FDP-Fraktionschef und Digitalexperte Michael Kruse stellte zu den Aktivitäten in der CDU gegenüber HANSEVALLEY fest: "Carsten Ovens ist ein anerkannter Experte im Bereich Digitalpolitik. Ich glaube nicht, dass die CDU zu viele derartig profilierte Digitalpolitiker hat.“
Wie notwendig in Digitalisierungsfragen fachlich kompetente Politiker wären, zeigt sich, wenn – unabhängig von Parteifarben – in typischer politischer Sonntags-Reden-Manier von Hamburg als "Blockchain-Hauptstadt" fabuliert wird:
Tatsächlich gibt es in Hamburg nach aktueller Zählung im Auftrag von HANSEVALLEY 38 Blockchain-Companies an Alster und Elbe. Das sind rd. die Hälfte allein der deutschen Blockchain-Startups mit Sitz in der Startup-Hauptstadt Berlin - von etablierten Blockchain-Nutzern und -Dienstleistern ganz abgesehen.
Wer soll eigentlich Carsten Ovens Listenplatz für die Bürgerschaft einnehmen? Und vor allem: warum?
Dass in Parteien, erst recht wenn es um bezahlte Politik geht, personeller Wettbewerb herrscht, gehört zur Natur der Sache. Das wird auch Carsten Ovens bewusst sein, der beruflich begründet seit einiger Zeit mehr in Berlin als in Hamburg ist. Dass die neue Nr. 1 in Niendorf eine Frau ist, ist heutzutage ein Zeitgeist-Vorteil. Eine Qualifikation ist es nicht.
Es ist auch kein Qualifikationsausweis, dass sie eine - wenn auch indirekte - Mitarbeiterin außerhalb des Politikbetriebes des Kreisvorsitzenden und Bundestagsmitglieds Rüdiger Kruse ist.
Dass sie sich als engagierte und erfolgreiche Kommunalpolitikerin in der Eimsbüttler Bezirksversammlung einen Namen gemacht haben soll, ist nun das inhaltliche Argument, wie man aus dem Umfeld hört. Bei der Wahl im Mai haben zwei andere CDU-Mitglieder mehr Personenstimmen bekommen, als sie.
Die CDU selbst hat nur in Hamburg-Mitte noch weniger Stimmen als in Eimsbüttel eingefahren. Wie und warum diese Kompetenz nun vor Ort nicht mehr genutzt werden, sondern stattdessen die Bürgerschaftsfraktion aufwerten soll, wurde nicht erklärt.
Erst das Land, dann die Partei, dann die Person: Das scheint keinen Wert mehr zu haben und auch nicht Bestandteil der Überlegungen in Niendorf gewesen zu sein, wo die Kirchtürme offenbar nicht nur bei den Gebäuden die niedrigsten sind.
Wer sich in einer Zeit drängender digitaler Herausforderungen für "PDF" statt "ICO" entscheidet - und damit auch eine Chance vergibt, die grün-rote Koalition im Rathaus anzugreifen (deren digitaler Firniss sehr durchsichtig ist), darf sich nicht wundern, wenn er von käuflichen YouTube-Boys vorgeführt und vom Wähler nicht mehr als regierungsfähig angesehen wird.
Oder wie formulierte HANSEVALLEY-Chefredakteur Thomas Keup - über 16 Jahre selbst CDU-Mitglied - in einem Brief an die Hamburger CDU-Parteispitzen Heintze, Trepoll, Weinberg:
"Zukunft wird aus Mut gemacht. Mut erfordert Angstfreiheit. Eine Partei gewinnt Profil, wenn Sie bereit ist, aus ihrer Komfortzone herauszutreten und die entscheidenden Themen anzupacken. Ich sehe bei Ihnen im Moment weder Mut, noch zukunftsweisende Themen, noch ein eigenständiges Profil."
Das letzte Wort möchten wir gern dem Abgeordneten und Digitalexperten Carsten Ovens geben:
"In einer kleinen Fraktion ist jedes Mitglied als Fachpolitiker gefordert. Bei mir sind dies Wissenschaft und Digitale Wirtschaft als Fachsprecher unserer CDU-Fraktion. Dazu liegen mir die internationalen Beziehungen Hamburgs sehr am Herzen. Wir sind Deutschlands Tor zur Welt. Diesem Anspruch müssen auch wir Abgeordneten gerecht werden. Wer Hamburg besser machen will, der sollte ohnehin regelmäßig seinen eigenen Horizont erweitern und über die Grenzen des eigenen Stadtteils hinaus denken."
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Hamburg Digital Autor Gerd Kotoll:
Gerd Kotoll vernetzt Entrepreneure mit potentiellen Partnern und Kunden - und berichtet von ausgewählten Events und Entwicklungen im Ökosystem der Hamburger Startup-Szene.
Als unabhängiger Makler berät und betreut Gerd Kotoll er Vereine, Verbände und Unternehmen in Fragen der betrieblichen Absicherung. Besonderen Fokus legt er auf junge Unternehmen und Startups.
Gerd Kotoll ist Freier Autor des Hamburg Digital Magazins.
Hamburg Digital Background:
CDU-Abgeordneter Ovens verzichtet auf Kampfkandidatur:
welt.de/regionales/hamburg/article195082563/Buergerschaftswahl-2020-CDU-Abgeordneter-Ovens-verzichtet-auf-Kandidatur.html