Mittwoch, 6. Juni 2018

HANSECHAMPION Health AG: Richtige Rechnungen für alle Patienten.

HAMBURG DIGITAL REPORT

Die Digitalisierung fragt nicht, bevor sie ein Geschäftsmodell umbricht. Das gilt für Hamburger Handelshäuser, Paketlogistiker und Finanzdienstleister. Neue Technologien und Startups greifen Stammhalter an, ohne vorher nett zu fragen. Beispiel: das zum Otto-Inkasso-Dienstleister EOS gehörende Factoring-Unternehmen Health AG. Eine Bank kommt um die Ecke, und kauft einfach Rechnungen auf. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es 10 gute Jahre lang war. 


Nach 12 Jahren zurück nach vorn: Vorstände Törper und Schäfer
Foto: Health AG

Beim Finanzdienstleister Health AG am Lübeckertordamm klingeln die Alarmglocken. Die Vorstände reagieren: Mindchange, Technologien und der Plattformgedanke ziehen ein beim Spezialisten für Zahnarztrechnungen - zusammen mit konsequenten Entscheidungen, mutigen Investitionen und einem Geschäftsmodell, dass fast nichts mehr mit schnöden Rechnungen zu tun hat. Ein Hamburg Digital Report:

Berlin, Hohenzollerndamm, im Süd-Westen der Hauptstadt: Auf dem Empfangstresen der kleinen aber feinen Zahnarztpraxis liegt ein blau-weißer Flyer. 'Information zur Patienten-Ratenzahlung' ist auf dem Faltblatt mit Antragsformular und Lastschriftmandat zu lesen. Der Absender: Die Kundenbetreuung der Health AG am Lübeckertordamm in Hamburg, genauer gesagt: Die EOS Health Honoramanagement AG, ein Unternehmen der EOS-Gruppe und Teil der Otto Group. Gut 2 Millionen Zahnarztrechnungen übernimmt die AG pro Jahr, bietet Zahnarztkunden bequeme Ratenzahlungen an. Ein klares Geschäftsmodell.

2005 wurde die Factoringfirma als Teil des größten deutschen Inkasso-Dienstleisters EOS gegründet. Seit mehr als 12 Jahren geht es für den Hamburger Finanzdienstleister aufwärts. Im Geschäftsjahr 2017/2018 betrug das Rechnungsvolumen 746 Millionen Euro. Damit ist die Health AG führender Anbieter für das Management von Zahnarztrechnungen. Doch die Digitalisierung ist auch am Lübeckertordamm vorbeikommen und hat die Vorstände Jens Törper und Uwe Schäfer aus ihren Träumen gerissen. Was passiert, wenn jemand das angestammte Geschäft mit neuesten Technologien und höchster Dynamik angreift? 

Vom Finanzdienstleister zur Technologiefirma

Vor 2 Jahren entscheidet der Vorstand: Wir bauen eine neue Company. Wir fangen nochmal von vorn an. Wir überlassen den Markt nicht dem Zufall. Die Entscheider holen mit dem Softwaretechniker Jan Schellenberger einen CTO an Board. Der dreifache Familienvater aus Eppendorf leitet zuvor als IT- und Personalvorstand über 5 Jahre die Digitalisierung bei Hamburgs bekannter Familienreederei Rickmers, kennt sich mit digitalen Produkten aus und scheut sich nicht, seinen neuen Co-Vorständen zu sagen was geht, und was nicht. Diese treffen eine klare Entscheidung: 'Wir wollen die Veränderung'. Aus dem Finanzdienstleister soll etwas Neues werden.


Hebt die Health AG auf die nächste Stufe: CTO Jan Schellenberger
Foto: Health AG
Der Markt ist kein stiller, blauer Ozean mehr. Diverse Dienstleister tummeln sich im Zahnarztbecken. Da werden Praxen mit 0,1 Prozent geringeren Kosten abgeworben. Für die erfolgsverwöhnte Health AG ein "roter Ozean" voller "Haifische" - der Markt ist ungemütlich geworden. Der Hamburger Schellenberger macht im Rechercheinterview klar, wie die Transformation gelingen kann: "Ich darf Steine ins Wasser verwerfen. Ich darf aufrütteln. Ich darf neue Sachen einführen." Und der HAW-Diplom-Ingenieur hat sich nicht die fortschrittlichste Branche ausgesucht: 10-15 Jahre alte Software, mehr als 40 Individuallösungen gibt es im Markt, jede proprietär und kaum fit für die Zukunft.

Health AG + Nubologic = neue Praxissteuerung

Zu allem Überfluss kommt ein Verband Deutscher Dentalsoftware Unternehmen. Mehr als 20 Jahre im Markt hat der VDDS nach eigenen Angaben die Anbieter von 80% aller Praxisprogrammen als Mitglieder. Das selbsternannte Ziel: "Gemeinsame IT-Standards". Da klingelt in den Ohren eines ehemaligen IT-Verbands-Pressechefs die ganze Sammlung der Alarmglocken. Die Argumentation ist - wie die Verbands-Website zeigt - Grundlage für das Geschäftsmodell: 'Der Verband entwickelt Schnittstellen zum sicheren Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen'. Das Geheimnis heißt "VDDS-Transfer" - die verbandseigene Umsatzspinne im Netz.

Die Health AG trifft eine weitreichende Entscheidung: für eine eigene, webbasierte Praxissteuerung. Nur, wer die Technik im Griff hat, kann Neues in den Markt bringen. Die Hamburger rüsten auf. In gut 2 Jahren wächst die Zahl der Mitarbeiter von 120 auf rd. 270 Profis - davon allein 80 interne und externe IT-Experten, die das Factoring-Unternehmen zur Tech-Company erweitern. Die Idee: eine webbasierte Praxissteuerung als Plattform zusammen mit einer KI-basierten Rechnungsprüfung. Im Februar 2016 läuft den Hamburgern der Zufall übern Weg: Mit der Norderstedter 5-Mann IT-Firma Nubologic kaufen sich die EOS-Profis das Grundgerüst für die künftige Businessplattform.

Alles, was der Teufel wie das Weihwasser meidet.

Ein niedriger 2-stelliger Millionenbetrag fließt bis heute in die Entwicklung. 30 Zahnarztpraxen gehören zu den "First Movern" - testen die Zukunft des Praxismanagements im Livebetrieb. Jan Schellenberger führt mit "Hēa" alles ein, was die Mitglieder des VDDS meiden, wie der Teufel das Weihwasser: cloudbasierte Skalierbarkeit, offene Schnittstellen, Bezahlung nach Patienten, die wichtigsten Features inklusive. Dazu eine Aufklärungs-App für die Beratung und Dokumentation - ohne extra Kosten. Allein mit der Service-App verdienen klassische Softwareanbieter zwischen 600,- und 1.200,- € - im Monat. 5 Jahre gibt sich das Hamburger Unternehmen Zeit, mit der neuen Praxissoftware wirtschaftlich erfolgreich zu sein.  


Terminmanagement inkl.: Die Praxissteuerung Hēa
Foto: EOS / Health AG
Für Praxen ist der Sprung in die digital-vernetzte Welt durchaus leistbar: Je nach Anzahl der Behandler schlagen rd. 5.500,- bis 9.500,- € Startinvestitionen zu Buche. Die monatlichen Kosten für den Cloud-Service liegen bei rd. 400,- € (für 1 Arzt in der Praxis) bis zu rd. 1.000,- € (für 3 Ärzte). Dazu kommen rd. 100,- € für die digitale Rechnungsprüfung namens "Hēa Analytics". Mit 9.000 Abrechnungsregeln überprüft die künstliche Intelligenz der Kölner Cognotect GmbH angeschlossenen Zahnärzten ihre Zahnarztrechnungen - unabhängig von neuer Praxissoftware. Einen Schritt weiter hilft Hēa Ratio, korrekte Rechnungen zu erstellen - mit fremder oder neuer Praxissoftware aus Hamburg.

Eine richtige Rechnung für alle Patienten.

Was banal klingt, ist der Schmerz jeder Krankenversicherung: unkorrekte, unvollständige und sogar unwahre Zahnarztabrechnungen. Die Spannbreite reicht von nicht weitergebildeten Abrechnungs-Mitarbeiter*innen bis zu Zahnärzten, die sich einen "Extraschluck aus der Pulle" genehmigen. Genau an diesem Punkt wird das Engagement der Hamburger durchaus kniffelig: 2 Mio. Rechnungen kaufen sie im Jahr auf - und ahnen schon heute, was alles nicht sauber aufgeführt wurde. Mit einer selbstlernenden Intelligenz aus Köln könnten die "schwarze Schafe" in Sekundenschnelle auffliegen. 

"Mir geht es einzig darum, Augenhöhe zwischen allen Beteiligten herzustellen", sagt Schellenberger. Denn für ihn geht es um die richtige Rechnung im Interesse des Patienten - und die gleiche Rechnung für die gleiche Leistung für alle Patienten. Stellt sich die Frage, warum ein Factoring-Dienstleister 80 Mann in der IT beschäftigt, mehr als 10 Mio. Euro für eine neue Praxissoftware an die Hand nimmt und sich mit dem Branchenverband der Software-Anbieter anlegt? Beim Stichwort Daten und Auswertung wird dem interessierten Leser klar: Es geht nicht um eine Software und nicht nur um eine Rechungsprüfung. Es geht darum, wer in Zukunft mit Zahnärzten erfolgreich zusammenarbeiten wird.

Alexa, ich habe eine Teilkrone eingesetzt. 


Health AG-Workshop mit Zahnarzt-Mitarbeitern
Foto: Health AG
Wenn wir jetzt Amazon Alexa oder Google Home mit ins Spiel bringen, fängt die Geschichte an, spannend zu werden. Das Szenario: Die Zahnärztin am Berliner Hohenzollerndamm spricht direkt nach der Behandlung ihre Tätigkeiten in einen Assistenten. Dieser wertet anhand von Millionen vorliegender Beispiele die richtigen Abrechnungspunkte nach aktuell 9.000 Regeln aus. Ein Webservice erstellt automatisch eine garantiert richtige Rechnung - eine Rechnung, über die sich Krankenversicherungen, Zahnarztpraxen und Versicherte nicht mehr streiten. Und auf Wunsch geht die zur Ratenzahlung automatisch zum Factoring an den Hamburger Lübeckertordamm.

Mehr als 600 Partner arbeiten im Programm "Co-Evolution" bereits zusammen mit der Health AG an der Zukunft einer vernetzen, automatisierten und kundenorientierten Zahnarztpraxis. Im Partnerprogramm engagieren sich Zahnarztpraxen und Praxismitarbeiter, entwickeln 4 mal im Jahr in Kreativlabs Lösungen für die Praxis der Zukunft. Schwere Zeiten für Branchenverbände, die auf einer proprietären Schnittstelle sitzen und hoffen, dass es die nächsten 10 Jahre weiterhin gut geht. Die Vorstände der Health AG wollten vor 3 Jahren ihren Nachteil als traditioneller Finanzdienstleister in den Vorteil einer Technologiefirma wandeln. Könnte sein, dass sich der Wind gerade dreht.






 Hamburg Digital Background: 

Health AG - Webbasierte Praxisverwaltung "Hēa":
http://www.healthag.de/praxissteuerung/

Health AG - Intelligenter Rechnungsservice "Hēa Ratio":
https://www.healthag.de/abrechnung/hea-ratio/

Health AG - Partnerprogramm "Co-Evolution":
http://co-evolution.jetzt/

Cognotect - Künstliche Intelligenz für Geschäftsprozesse:
http://www.cognotekt.com/

Mutterkonzern EOS-Gruppe bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/EOS_Gruppe

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