Montag, 22. November 2021

HANSETECHTEST: Das Chaos im Gorillas-Käfig.

HANSE DIGITAL TECHTEST

Live-Test aus der "Bananen-Republik":
Ersatzlos gestrichen: 10 Minuten Lieferzeit - gewollt, aber nicht gekonnt.
Foto: HANSEVALLEY

Sie brüllen lauter. Sie laufen schneller. Sie liefern ... schlechter.  Die "Gorillas" des gleichnamigen Berliner Tech-Startups sind der letzte Schrei ... im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre USPs: alte Milch, alter Quark und leere Regale. Dazu: ungültige Gutscheine, misslungene Online-Zahlungen, eine kaputte iPhone-App. Obendrauf: lange Lieferzeiten und tagelanges Warten auf den Service.

Was mit falschen Abrechnungen und kaputten Bikes, wilden Streiks, gefeuerten und sich organisierenden Ridern durch die Presse läuft, ist gegen das Chaos gegnüber ihren Kunden fast paradiesisch. HANSEVALLEY testete den Schnelllieferdienst aus Berlin im Oktober und November d. J. fünfmal hintereinander auf Herz und Nieren - Thomas Keup mit unschönen Ergebnissen:

Donnerstag, 21. Oktober '21, unser "erstes Mal". Und beim "ersten Mal" tuts bekanntlich weh ... Das ist beim "Getgoodys"-Gründer Kağan Sümer, dem Ex-"Hellofresh"-COO Jörg Kattner und dem libanesischen Unternehmer Ronny Shibley nicht anders. Die drei Berliner Jungs bieten ihren weiblichen und männlichen Kunden einen echten "Quickie": Klicke auf Cola, Schokolade und Chips - und die "Gorillas" "besorgens" Dir in nur 10 Minuten - so das vor-/laute Versprechen auf Werbeflächen u. a. in Berlin und Hamburg. Leider wird aus dem "Quickie" bei unserem "ersten Mal" ein ziemlich lahmer "F.ck". Dabei kommt sogar "alte Milch" raus ... 

Immer wieder fast abgelaufene Milch bei "Gorillas".
Foto: HANSEVALLEY

Auf den Punkt: Vier länger frische Milchpackungen unserer 20,- € Lieferung haben gerade einmal 3 Tage Mindesthaltbarkeit - in Worten: drerei Tage. Bei der Reklamation stürzt der Chatbot in der sich später auch noch aufhängenden "iPhone"-App zweimal hintereinander ab. Die im Chat versprochene Klärung durch einen Agenten lässt mehr als 20 Stunden auf sich warten, während der Bürozeit von 10.00 bis 17.00 Uhr hebt ohnehin niemand das Telefon ab. Willkommen in der "Bananen-Repubik" "Gorillas": Hier reift der Service beim Kunden - oder lieber nicht, kostet nämlich Geld.

10 Minuten Lieferzeit: 1 x gehalten. 4 x gebrochen. Ersatzlos gestrichen.

Fairerweise muss man auch sagen: Der Lieferfahrer an diesem kalten Donnerstag-Abend ist freundlich und zuvorkommend - und hält die versprochenen 10 Minuten ein (das erste und das letzte Mal). Auch Schichtleiter Titus gibt sich im Depot am Tag nach der Lieferung alle Mühe, gibt uns sofort frische Milch - und muss dabei weitere alte Milchpackungen aussortieren. Der Kundendienst ist 21 Stunden nach der Reklamation ebenfalls professionell und kulant: Der Kaufpreis für die alte Milch wird samt Lieferkosten ohne Diskussionen gutgeschrieben. So weit, so gut, im Gegenteil zu "Getir": Hier verspricht uns ein Supporter das Blaue vom Himmel - und erstattet die fehlende Cola-Flasche nicht. Das nennen wir Betrug!

Unser 2. Test, vier Tage später: das "zweite Mal". Nein, wir haben keine sadomasochistischen Züge und schreien auch nicht nach Schmerz. Immerhin: Beim zweiten "Quickie" sind erneut alle bestellten Artikel in der Tüte, keine unpassenden Austauschartikel (wie zuckerhaltige Limonade für Diabetiker bei einem früheren Test mit Rewe) und wir sind nicht auf den Kosten für die fast abgelaufene Milch sitzen geblieben. Dafür geben sich die "Gorillas" beim zweiten Anlauf alle Mühe, ihr Zeitversprechen zu brechen: satte 20 Minuten braucht der Fahrer für unsere Bestellung - vom gerade einmal 900 Meter entfernten Depot. 

Schnell, schneller, ausverkauft: kein Brot, keine Milch und auch kein Bier. 

Warenwirtschaft für Gorillas 
ein echtes Fremdwort.
Screenshot: HANSEVALLEY
Allerdings zeigt das offenbar rücksichtslos mit seinen zumeist jungen, ausländischen Fahrern umspringende Startup, was es nicht kann: nämlich alle in der App angeboten Produkte auch liefern zu können. Wie unsere insgesamt fünf Bestellungen zeigen, fängt der Bruch des Kundenversprechens bei so alltäglichen Produkten wie Brot und Eiern an. Das ist einerseits verständlich, bei haltbaren Lebensmitteln, wie Kaffeekapseln, Cola und alkoholfreiem Bier hört das Verständnis auf. Offenbar hat "Gorillas" seine Warenwirtschaft nicht im Griff. Zugleich setzen setzt das Startup aus der Berliner "Factory" die Latte bei der Produktbreite erstaunlich hoch, während "Getir" fast hinterherhechelt und sein Produktangebot erst jetzt von Kiosk-Niveau auf Vollsortiment hochfährt.

Alles, was man nicht kaufen kann, bringt keinen Umsatz in die Kasse - egal, ob selbst bezahlt oder mit großzügigen Gutscheinen eingekauft, um Investoren aufgehübschte Kennzahlen für die nächste Finanzierung zu präsentieren. Unser 2. Test zeigt aber auch, was die Disruptoren können, nämlich ein bisschen App-Technologie: das Bezahlen per "Apple Pay" mit ein, zwei Mausklicks ist noch einfacher und schneller, als per "Paypal". Auch die Echtzeitanzeige, wann die Bestellung bearbeitet wird, der Fahrer unterwegs ist und die bestellten Lebensmittel vor der Tür stehen, ist State-of-the-Art. Allerdings schafft der türkische Konkurrent "Getir" das genauso gut.

Wie schaffen die 10 Minuten? Neun Minuten früher als zugestellt tracken.

So schafft es jeder in 10 Minuten:
Auftrag einfach mal beenden.
Screenshot: HANSEVALLEY
Nachdem wir beim 2. Liefertest auf leicht verderbliche Artikel verzichtet haben, starten wir am 29. Oktober d. J. den großen Frischetest. Und wieder zeigt der "Gorillas"-Zirkus, was gar nicht geht: Wieder bekommen wir vier länger frische Milchpackungen - mit gerade einmal 6 Tagen Restlaufzeit. Unser Bestellhinweis in der App auf die Haltbarkeit zu achten, wird weder gelesen noch berücksichtigt. Nicht genug Pleiten, Pech und Pannen: Frischfleisch? Nicht verfügbar. Frische Eier? Was erwarten Sie? "Gorilla Favs" zu bestellen? Vier von sieben beworbenen Artikeln gibts einfach nicht. Ist das ein bedauerlicher Einzelfall? Nein, über Tage beobachten wir die Verfügbarkeit. Unser Zwischenfazit: Viele ausverkaufte Artikel sind bei "Gorillas" dauerhaft Normalität.

Doch "Gorillas" kann noch mehr: Neun Minuten vor der Ankunft wird die Lieferung einfach als zugestellt gemeldet. So gaukelt "Gorillas" das großmäulige Versprechen von nur 10 Minuten Lieferzeit offenbar vor - von einem unmotivierten Fahrer beim dritten Test ganz abgesehen. Doch zu jedem Test gehören zwei Seiten: Auch beim Frischetest sind die Milchpackungen kalt und das bestellte Eis gefroren. Das ist aber wohl nicht immer so, wie kritische Stimmen in "Google"-Kommentaren zum Berliner Depot in der Martin-Luther-Straße zeigen. Fast abgelaufene Frischeartikel gehen aus Verbrauchersicht gar nicht. Hier hat "Gorillas" uns das zweite Mal gezeigt, daß Qualitätskontrollen in den Depots offensichtlich nicht existieren. Aber das merkt ja (fast) keiner ...

Auch die "iPhone"-App von "Gorillas" ein unerwartetes Ärgernis. 

Achtung! Wir vera.schen Kunden.
Ihre "Gorillas Tech"-App
Screenshot: HANSENVALLEY
Wir wären keine unabhängigen Journalisten, wenn wir einem schrill werbenden Startup nicht auf den Zahn fühlen würden. Unsere vierte Runde am 1. November d. J. gilt der Geschwindigkeit in einer echten Rushhour, gerade nachdem wir die Mogelei beim Tracken erleben mussten. Es ist Montag-Abend kurz nach 21.00 Uhr: bequeme Singles, gestresste Familien und Partypeople bringen die "Gorillas" unter Zeitdruck: Die App kündigt 28 Minuten Lieferzeit an, einen Tag später sogar eine volle halbe Stunde. Von 10 Minuten kann keine Rede mehr sein. Doch wir können gar keine Bestellung abschicken: Unser bis Ende Dezember gültiger Gutschein wird nicht akzeptiert. Erst das Löschen und Neuinstallieren der offenbar fehlerhaften "iPhone"-App bringt Abhilfe. 

14 Tage nach unserer Premiere schließen wir unseren Langzeittest ab. 

Wieder ist der Neukundengutschein nicht gültig. Zum Glück meldet sich eine Support-Mitarbeiterin nach unserer vierten Bestellung - erst volle 2 Tage später. Diese katastrophale Verzögerung beklagen auch andere "Gorillas"-Opfer bei "Google". Offenbar will sich das nur durch Risikokapital finanzierende Startup den Kundendienst lieber einsparen - ein Fehler im Startup-System, den wir schon kennen, z. B. mit 3 Wochen Wartezeit auf eine "Home 24"-Abholung und eine selbständig weg fließende Aubergine von "Hellofresh". Aus Fehlern nichts gelernt - warum auch?

Die Leistung der "Affen":
Immer wieder schlecht.
Screenshot: HANSEVALLEY
Nachdem wir in der Bestellrunde zuvor Stress mit einem nicht akzeptierten Gutschein hatten, lernen wir jetzt die unausgereifte Software des sich selbst als Tech-Anbieter tetulierenden Jungunternehmens kennen. Trotz funktionierender Bezahldienste von "Apple Pay" und "Paypay" will die App uns nichts verkaufen. Als Verbraucher heben wir an dieser Stelle die Hand, verbunden mit dem Urteil, das sie unser Geld nicht wollen ... Wieder müssen wir die App neu laden, um ordern zu können. Und wieder schummeln die Affen bei der Lieferzeit, geben lediglich 15 Minuten an - und schaffen es erst in 21 Minuten - bei 5 Minuten Lieferweg.

Erst mit unserer fünften Bestellung bekommen wir von "Gorillas" endlich mal wirkliche frische Milch, die länger als 7 Tage haltbar ist. Endlich bekommen wir Bioeier, die ebenfalls frisch sind - auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass dies auf Grund unserer mehrfach negativen Erfahrungen eher ein Zufall aus der Abteilung "Lotto, Toto, Spiel mit den Gorillas" ist. Nach fünf Tests haben wir uns ein klares Urteil gebildet, was wir von dem schnell wachsenden und sein Liefersprechen - gemäß des Werbeslogans "Faster than you" - einkassierenden Startup halten.


Das HANSETECHTEST-URTEIL:

Wer gern das Risiko eingeht, alte Lebensmittel zu bestellen, sich mit einer mehrfach nicht funktionierenden App und "Zero Level"-Support mit bis zu 48 Stunden Wartezeit herumärgern will, ist bei bis zu 100 % teueren Lebensmitteln von "Gorilllas" aus der "Bananen-Republik" genau richtig. Guten Appetit!

Wer sicher sein will, wirklich frische Lebensmittel zu bekommen, das Regale nicht leer sind wie in England, wer nicht bis zu 100 % Aufschlag zahlen will und für wen die Sicherheit eines schnellen Kundendienstes wichtig ist, der sollte sich von den laut brüllenden "Gorillas" fern halten.

Der "Gorillas" Lebensmittel-Lieferdienst:
"AUSSEN HUI, INNEN ZIEMLICH PFUI."

Hinweis: Wir haben im Testzeitraum parallel Käufe mit "Getir" gemacht, um einen direkten Vergleich der Lebensmittel-Schnelllieferdienste zu haben. Auf Grund des Umstands, dass unsere Lieferadresse außerhalb des Zustellbereichs von "Flink" liegt, konnten wir keinen direkten Vergleich mit diesem Anbieter unternehmen. Klassische Lebensmittel-Lieferdienste, wie "Bring", die "EDEKA"-Partner "Bringmeister" und "Pic Nic" sowie "Rewe" wurden aktuell nicht getestet. 

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