Donnerstag, 2. April 2020

#CoronaSoforthilfeHH: Was haben Sie an “sofort” nicht verstanden, Herr Senator?

Ein HAMBURG DIGITAL STATEMENT
von Landeskorrespondent Gerd Kotoll

Verantwortlicher Finanzsenator Andreas Dressel in Erklärungsnot.
Foto: Senatskanzlei Hamburg

Er feiert sich mit roten und grünen Parteifreunden, Senatspersonal, Kostgängern und Subventionsrittern auf Facebook selber: Finanzsenator Andreas Dressel in seinem Social Media Stream: “Haben sich die vielen Telefonkonferenzen doch gelohnt *smile*”. Der SPD-Landespolitiker mit Seitenhieb gegen die Bremer Soforthilfe zum Ausdrucken und getrennten Anträgen: “Soforthilfe Bund & Land digital & aus einer Hand *grünes Häckchen”. 

Dabei hat der Hamburger Lokalpolitiker nur gut 24 Stunden zuvor Freiberuflern, Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmern mit einer peinlichen Selbstoffenbarung und einer dreisten Zumutung für die viel gepriesene “Hamburg Corona-Soforthilfe” mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Landeskorrespondent Gerd Kotoll mit Fakten und Fragen zur neuesten “Hamburg-Alles im Blick-Peinlichkeit” aus dem Rathaus:

Vergangenen Freitag-Nachmittag, auf der Landespressekonferenz mit Corona-Folgen-bekämpfenden Vertretern des Senats erklärt Hamburgs Erster Kassenwart Andreas Dressel das geplante Prozedere zum Online-Antrag für die “Hamburg Corona-Soforthilfe” über die Website der Investitions- und Förderbank in Hamburg. Start: Montag-Morgen. Mit an Bord: “externe Server”. Da konnte man eigentlich schon ahnen, das was kommen wird …

Die artigen Fragen der per Videokonferenz zugeschalteten Journalisten konnte das Dreigestirn Tschentscher, Prüfer-Storcks und Dressel noch nicht aus der Fassung bringen. Bis die letzte Frage kam, von unserem Chefredakteur Thomas Keup, isoliert und doch einsatzbereit in seinem Berliner Home-Office. Von dort fragte er brav per Mail, wie Hamburg denn technisch aufgestellt sei - im Fall von mehr als 130.000 Hilfesuchenden in Berlin in nur 5 Stunden.

Hintergrund: Die seit Freitag-Mittag in Berlin freigeschaltete Online-Lösung der dortigen Förderbank IBB für die “Hauptstadt Corona-Soforthilfe” wies nach 5 Stunden 139.000 Wartenummern aus - bei bereits abgearbeiteten 7.000 hilfesuchenden Freiberuflern, Solo-Selbständigen und Kleinunternehmern und einer Bearbeitungszeit von rd. 10 Minuten - macht einen stündlichen Antragsdurchsatz des Berliner Portals von 6.000 Datensätzen.

Senat mit live übertragener Schnappatmung

Landespressekonferenz aka Hamburg Märchenstunde.
Foto: Senatskanzlei Hamburg

Da war es mit der gemütlichen Plauderstunde der Landespressekonferenz mit dem Ersten Kassenwart und seinem Ersten Senatspräses vorbei, denn mit solchen Zahlen (mehr als 130.000 Hilfesuchende in wenigen Stunden) hatte man offenbar nicht auf einmal gerechnet. Nach der Schnappatmung der IBB-Server in der Millionenmetropole im Osten schnappten nun die Senatsmitglieder im Norden nach Luft für ihre mehr oder weniger überzeugenden, sich leider doch nur im Kreis drehenden Antworten. Thomas Keup schrieb brav mit.


So werde auch über das Wochenende fieberhaft geprobt und getestet, dass am Montag die Freischaltung des Antrags sichergestellt werden könne. Im Nebensatz erwähnte SPD-Finanzchef Dressel den Einsatz von “externen Servern”. Was er gegenüber der versammelten Hamburger Journaille lieber nicht verriet: Senat, Finanz- und Wirtschaftsbehörde, Förderbank und IT-Dienstleister überließen den kompletten Online-Antrag … SAP. Genau, die mit der leicht nutzbaren ERP-Lösung … Und das verhieß nichts Gutes.

“Gehen Sie weiter! Es gibt nichts zu sehen!”

Am Montag passierte dann zunächst … wir schauen noch mal nach … Moment ... genau: nichts. Nicht um 9.12 Uhr, nicht um 12.37 Uhr, nicht um 15.08 Uhr, nicht mal zum Feierabend um 18.55 Uhr. Entsprechend zerknirscht kam um 18.57 Uhr eine Pressemeldung aus der Senatskanzlei, dass leider leider .... wir schauen noch mal genau hin … genau .. leider eine Verzögerung eingetreten sei. Aber man müsse sich keine Sorgen machen, Geld sei genug da. Und: man könne ja bis Ende Mai d. J. die Anträge stellen. Richtig gelesen!

Dies verteidigt die zuständige Sprecherin der beteiligten Wirtschaftsbehörde, durch deren Hände die peinliche Pressemeldung ebenfalls ging, auch 2 Tage nach der Unmöglichkeit. Mehr noch: Die bekannte PR-Frau zeigt auf dem Facebook-Account von Senator Andreas Dressel lieber mit nacktem Finger auf die Berliner Datenpanne mit insgesamt 390 fehlgeleiteten Antragsbestätigungen - bei 6.000 verarbeiteten Anträgen pro Stunde. Susanne Meinicke: “So sieht das dann aus, wenn Schnelligkeit vor Gründlichkeit geht.” So, so, Hamburger Gründlichkeit ...

Genug Geld, genug Zeit - kein Grund zur Eile.

Bemerkenswert: Dass genug Geld da sei, hörte man ja bisher eher selten in Politiker-Statements. Eigentlich heißt es ja sonst immer, dass eben nicht genug Geld da sei. Aber in Zeiten der Krise wollen wir das mal nicht kommentieren. Gleichwohl, der klitzekleine Hinweis sei erlaubt: Berlin hat bereits am Montag gemeldet, dass die veranschlagten 100 Mio. € nicht ausreichen würden und man bei mittlerweile rd. 300 Mio. € Antragsvolumen sei. Und sich darum kümmere.

Und auch wenn es ab 23.57 Uhr mit den Anträgen der “Hamburg Corona-Soforthilfe” - trendig “HCS” abgekürzt (dürfte demnächst wie Dressels #CoronaSoforthilfeHH auch als Hashtag die sozialen Medien erobern) - funktionierte: eine Soforthilfe, Herr Senator, soll sofort helfen. Sofort. Und nicht erst Ende Mai. Denn im Mai wird es viele Selbständige und Kleinunternehmen schlicht nicht mehr geben, wenn diese nicht sofort Hilfe bekommen. Sofort.

Peinliche Bankrott-Erklärung der Senatoren Dressel und Westhagemann.
Screenshot: HANSEVALLEY

Das gilt für den Barmbeker Hausmeister-Service ebenso, wie für die kleinen Friseursalons in Harburg, Wandsbek und Ottensen, bei denen der mühsam ersparte und gegen alle Widerstände hart erarbeitete Traum der Selbständigkeit nun zu platzen droht - weil diese mutigen Unternehmerinnen und Unternehmer aus Sicht der “die ganze Stadt im Blick”-habenden SPD-Senatsbehörde nicht geduldig genug sind. Zitat Senator Andreas Dressel, Landespressekonferenz, Freitag, 27.03.2020, 18.28 Uhr: “Aber ein bisschen Geduld und Verständnis glaube ich wäre jetzt in der Startphase etwas, das für alle Beteiligten wichtig ist."

Was für eine Haltung, was für eine Denke ist das?

Was ist das für eine Haltung, auf Geduld zu verweisen? Während Niedersachsen oder Schleswig-Holstein bereits ausgezahlt haben, um nicht nur mit dem bösen Osten und dem reichen Süden zu “stänkern”. Was ist das für eine Denke, das angesichts der drohenden Pleite unzähliger kleiner Boutiquen, Läden und Gastronomiebetriebe, als “erste hilfreiche” Maßnahmen Steuerstundungen und -herabsetzungen der Vorauszahlungen anzubieten? Herabgesetzt wurden hier nur die selbständigen Steuerzahler.

Facebook-Post hilfesuchender Solo-Selbständiger in Hamburger.
Screenshot: HANSEVALLEY
Dass Hamburg einmal mehr technisch hinter anderen Ländern her hinkt, ist schon schwer zu akzeptieren - überrascht aber auch nur die, die den offiziellen Verlautbarungen des Senats zum technischen Fortschritt der Stadt immer geglaubt haben (vgl. “Digital First”, vgl. “Mobile First”, vgl. “Digitale Stadt” und so weiter und so weiter). Jetzt zeigt sich, dass die Stadt bei Weitem nicht so toll aufgestellt ist, wie in den politischen Sonntagsreden gern behauptet wird. Und das ist keine Einbildung einer kleinen Ansammlung besserwissender Tech-Journalisten.

Dass Sie Herr Senator sich hinstellen und auf Zeit spielen, ist einfach nur eines: unverantwortlich. Dass Sie damit der Hamburger Geschichte und Tradition als Hansestadt ehrbarer Kaufleute nicht gerecht werden: geschenkt (man sollte sich angesichts einer gefälschten Hafengründungsurkunde vielleicht auch nicht soviel auf seine Traditionen einbilden). Dass Sie damit die Sorgen und Nöte hart arbeitender, selbständiger Menschen in der Stadt nicht ernst (genug) nehmen, macht fassungslos.

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 Hamburg Digital Background: 


HANSEVALLEY: Gastbeitrag "Wie Hamburgs Wirtschaft aus der Panik zu digitalen Perspektiven kommt."

HANSESTATEMENT: "Die Zögerlichen": Wie Hamburg den Vorsprung gegen das Corona-Virus verspielt.
hv.hansevalley.de/2020/03/hansestatement-zoegerlich-hamburg-senat.html

HANSEVALLEY: Fachbeitrag "Wie Hamburg aus dem Corona-Trauma kommt":
hv.hansevalley.de/2020/03/hansespecial-wie-hamburg-aus-dem-corona.html 

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