Sonntag, 19. November 2017

HANSESTATEMENT: "Lynchmob" in Hamburg: Denn sie wissen, was sie tun.

Ein HAMBURG DIGITAL STATEMENT von
Herausgeber & Chefredakteur Thomas Keup

Eine Skandalisierung mit Halbwahrheiten. Ein Shitstorm mit Hatespeech. Ein Fanclub mit zweifelhaften Manieren. Dahinter: Szene-Protagonist*innen mit unhanseatischer Kinderstube. Hamburg ist nicht nur fleißig, ehrbar und professionell. Die Medien- und Marketingmetropole hat in den vergangenen Jahren eine Kaste vermeintlicher "Professionals" hervorgebacht, die alles andere als Profis sind. Darunter: Blogger*innen und Social Media Berater*innen, Netzwerker*innen und Unternehmer*innen, die sich als "digitale Bohème" empfinden.


HANSEVALLEY-Chefredakteur Thomas Keup
Foto: Stefan Kny
Bei YouTube stolperte ich über ein Video der Eventreihe "Rock the Blog" im Rahmen der "Cebit" 2017. Die "Head of Digital Channels" eines Softwareherstellers stotterte sich nichts sagend durch ihre Präsentation - mit Selfie als Einstieg. Die Kategorie "Inhaltsfrei und Spaß dabei" sorgte für ein schnelles Wegklicken. In Hamburg ist diese Qualität u. a. auf einem Marketing-Massenevent zu erleben.

Beim Stöbern durch meine Artikel in "Pocket" entdeckte ich ein Interview mit dem Architekten, Stadtplaner und Softwareentwickler Georg Franck. Der Wiener Architektur-Professor hat 1998 die "Ökonomie der Aufmerksamkeit" formuliert. Sein Gespräch mit dem Hamburger Wirtschaftsmagazin "Brand Eins" lieferte Antworten auf Ressentiments, Skandalisierung, Shitstorms und Hatespeech, die leider auch in Hamburg zu Hause sind. Ein HANSESTATEMENT: 

"Wir erleben einen emotionalen Klimawandel" formuliert der Münchner Philosoph, Architekt und Volkswirt seine Kernthese im Interview mit Brand Eins. Vor fast 20 Jahren sieht der Münchener voraus, was uns heute täglich begleitet: Content, der zum Selbstzweck mutiert ist. Oder wie es die Media-Persönlichkeit Thomas Koch auf den Punkt bringt: "Ohne Haltung ist Content nur noch mehr Müll auf der Werbe-Halde." Das Ergebnis: flackernde GIFs ohne Sinn und Verstand, Twenty Something's mit "Duckface" in leeren Gesichtern und "Deep Dives" auf Grundschulniveau.

In diesem HANSESTATEMENT greife ich die wichtigsten Aspekte des Interviews mit Georg Franck auf, pointiere sie in Fragen und Antworten und ergänze sie um persönliches Know how aus mehr als 25 Jahren Journalismus, 19 Jahren Kommunikation und 11 Jahren Social Media Präsenz. Dabei ziehe ich auch Resumés zu Hamburger Erlebnissen und bekannten Protagonisten'innen.

Warum bekommen Dummschwätzer mehr Aufmerksamkeit, als Experten?


Kampagnen-Motiv "Du bist ein Gewinn"
Herausgeber: Deutsche Fernsehlotterie
Der Buchautor fokussiert auf die persönliche Ebene, auf der sich Prominente aller Art - von Politikern bis Künstlern - in bunten Interviews und unkritischen Talkshows über Weltfrieden und Klimawandel auslassen. Dahinter steht das soziale Wesen Mensch. Denn Menschen interessieren sich für Menschen, ihre Erfahrungen und Meinungen. RTL fasst das in seinem Slogan 'Menschen, Bilder, Emotionen' zusammen. Die neuen "Profis" verkaufen ihre Meinung gegen öffentliche Aufmerksamkeit - in der Yellow Press, im Dschungel und auf YouTube. Aufmerksamkeit wird damit zum Selbst-zweck.

Wie agieren heute Influencer*innen, um Aufmerksamkeit zu erregen?

Der Wiener Professor gibt zu Protokoll, dass vor allem mit "Innovationen" gearbeitet wird. Das Versprechen des Neuen sorgt für Aufmerksamkeit, da es Neu-gierde weckt. So agieren auch Innovations- und Medienkonferenzen in Hamburg, die vor allem Tickets verkaufen wollen. Ein Drittel aller Werbungen adressieren Markenprodukte mit dem Attribut "neu", z. B. neuer Verpackung oder neuer Qualität. Gern werden vermeintliche Innovationen als Sensationen hoch gejazzt. Beispiel: Fahrradanhänger mit Hilfsmotor als "Neuheit" für intelligente Mobilität.

Wie profitieren Blogger, Podcaster und Instagrammer von dem Trend?

Kampagnen-Motiv "Weil wir Dich lieben"
Herausgeber: Berliner Verkehrsbetriebe, BVG
Hohe Aufmerksamkeit bedeutet Prominenz - positiv wie negativ. Georg Franck bezeichnet Prominenz als "neuen, schnellen Reichtum". Neben der Monetarisierung von Reichweite profitieren Prominente von dem "Matthäus-Effekt". Dieser besagt: Wer populär ist, wird zitiert, ohne das er etwas dafür getan hat. Franck spricht von "leistungsfreiem Einkommen", das sich auf dem "Prominenz-Konto" verzinst. Beispiel: C- bis Z-Promis wie - Zitat - "Regale Ralf" oder "Ruhrpott-Rotzlöffel", die berühmt sind, weil sie "berühmt" sind - wofür auch immer.

Wie können die neuen "Medienmacher" ihre Reichweite monitarisieren?

Der Philosoph erklärt. dass durch quantitative Messung Aufmerksamkeit vergleichbar geworden ist, z. B. in Besucherklicks und Einschaltquoten, gern auch mal frisiert mit öffentlichen Facebooks-Tricks. Die Reichweite wird durch traditionelle und soziale Medien ebenso vermarktet, wie durch Instagrammer, YouTuber und ihre Mediaagenturen. Markenartikler schalten Werbung für junge Zielgruppen in sozialen Medien und bei Influencern. Dazu gehört auch Schleichwerbung - u. a. eines Hamburger YouTubers oder in dem einen oder anderen Blogbeitrag fürs Shopping-TV. Merkt ja keiner ...

Wie kommt es in sozialen Medien zu Shitstorms und was steckt dahinter?

Georg Franck bringt auf den Punkt: Aufmerksamkeit ist flüchtig. Um sie zu erregen, bedarf es starker Reize. Dazu gehören Tabubrüche und Skandale. Als Beispiel nennt Franck den US-Wahlkampf - praktiziert von Trump- und Clinton-Lager. Wer Tabus bricht und Skandale liefert, gewinnt Aufmerksamkeit. Skandalisierung findet auf der Gefühlsebene statt, spricht die Moral an und setzt den Betroffenen damit ins Unrecht. Um sie zu "beweisen", werden auch mal Halbwahrheiten verbreitet. Erlebnisse mit Hamburger "Parteigenossen" macht die Masche sichtbar.

Warum werden Shitstorm und Hatespeech über Social Media betrieben?


Kampagnen-Motiv "Ich bin doch nicht blöd"
Herausgeber: Media Markt
Verleumdungen werden von Redakteuren in Medien erkannt und bekommen keine Stimme. In Sozialen Medien gibt es keine Journalisten, Hatespeech kann sich ungehindert verbreiten und wird nicht gleich gelöscht. Facebook & Co. bieten laut Franck "Echokammern", die Gleichgesinnten und vor allem Gleichverstimmten Resonanz und Verstärkung bieten. Plötzlich "prügelt" eine ganze "Horde" mit Worten auf den vermeintlich Schuldigen ein. Was früher der "Lynchmob" war, sind heute Frustrierte, die im Netz auf - Zitat - "Hetzjagd" gehen. Leider auch in unserer Stadt.

Was steckt hinter Ressentiments, die zu hasserfüllten Aktionen führen?

Der Erfinder der Aufmerksamkeitsökonomie sagt: "Wer nicht die erhoffte Aufmerksamkeit bekommt, fängt an, diejenigen schlecht zu machen, die ihm die ersehnte Beachtung verweigern." Dahinter steht u. a. ein (überzogenes) Verlangen nach Anerkennung. Für unfaire Protagonist*innen bleibt HANSEVALLEY verschlossen. Folge: Ressentiments werden geschürt, Skandale produziert, Geschäftspartnern Schmähbriefe geschickt, Netzwerkpartner aufgestachelt und zum Boykott aufgerufen. Das haben Szene-Proagonist*innen vor HANSEVALLEY bereits mit einem Startupmagazin systematisch betrieben. Und wer sich daran be-teil-igt, ist Teil dessen.

Was passiert, wenn hasserfüllte Aktionen zu keinem Ergebnis führen?


Kampagnen-Motiv "Du bist ein Gewinn"
Herausgeber: Deutsche Fernsehlotterie
Es sind jene Protagonist*innen, die vor ihrer Karriere bei Startup-Brutkästen und als Netzwerker*innen u. a. in der PR und als Social Media Berater*innen offensichtlich nur bedingt die Anerkennung und Beachtung fanden, die sie sich wünschten. Es sind offensichtlich Enttäuschte, Verletzte, die im Zweifel die Schuld bei anderen suchen. Bringen Vorbehalte nicht die gewünschte Resonanz, bleibt persönliche Verbitterung, fasst Georg Franck zusammen. Schade eigentlich.

Hinweise, Anregungen und Kritik zum Hamburg Digital Statement sind herzlich willkommen unter hamburg@hansevalley.de.

 Hamburg Digital Background: 

Georg Frank: "Wir erleben einen emotionalen Klimawandel", Brand Eins, 02/2017
www.brandeins.de/archiv/2017/marketing/georg-franck-interview-wir-erleben-einen-emotionalen-klimawandel/

Süddeutsche Zeitung Magazin: (Paid)
Wie seriös sind Empfehlungen von Influencern?
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Georg Franck: "Ökonomie der Aufmerksamkeit", 1998
https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96konomie_der_Aufmerksamkeit

Robert Merton: "Matthäus-Effekt", 1968
https://de.wikipedia.org/wiki/Matth%C3%A4us-Effekt

 Hamburg Digital Statements:

Wirtschaftsförderung + Medien:

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