Sonntag, 20. Mai 2018

HANSEPERSONALITY Erik Händeler: Wohlstand ist in Zukunft, sich besser auszutauschen.

HAMBURG DIGITAL INTERVIEW

Was kommt nach der Digitalisierung? Wer löst die dominierenden Plattformen ab? Welches Metathema begleitet uns in der Zukunft? Wo liegen die künftigen Geschäftsmodelle? Diese Fragen stehen für Zukunftsforscher ganz oben auf der Tagesordnung.


Blickt krittisch und hoffnungsvoll in die Zukunft: Visionär Erik Händeler
Foto: Wolfgang List

Welcher Produktionsfaktor ist heute am Knappsten, und lässt sich nicht einfach ersetzen? Und welche Erfahrungen helfen uns, den nächsten Aufschwung erfolgreich zu begleiten. Ein ganz besonderes Hamburg Digital Interview mit dem Zukunftsforscher Erik Händeler:

Bis zu 40% der Arbeitsplätze in der westlichen Welt können durch Technologien - sprich die allumfassende Digitalisierung des Arbeitslebens - wegfallen. Sie sagen: Das ist Unsinn und uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Dann könnte ich aufhören, über Digitalisierung zu schreiben, oder?

Nein! Weil erst durch die Digitalisierung neue Arbeitsplätze möglich werden, die vorher nicht ausreichend rentabel waren. Als die Dampfmaschine Bergwerke entwässerte und mehr Erz und Kohle hochschaffte, waren Eisen und Energie erst billig genug für unzählige neue Anwendungen. Die Digitalisierung ist ein Prozess, der jetzt schon Jahrzehnte läuft. Nur weil Computer Telefongespräche vermitteln, konnte Telefonieren so billig werden und neue Anwendungen ermöglichen. 

"Es reicht nicht, Technik A durch Technik B zu ersetzen, sich bequem zurückzulehnen und so weiter zu machen wie bisher."

Arbeit ist, Probleme zu lösen. Und weil wir immer Probleme haben werden, geht uns auch die bezahlte Arbeit nicht aus. Die Arbeit wandelt sich: Sie wächst in die gedachte Welt hinein: Nach Wissen suchen, das mein aktuelles Problem löst; etwas durchdenken und analysieren, um eine Entscheidung vorzubereiten; Inhalte aufbereiten und vermitteln; beraten, entwickeln, organisieren. Wir werden auch für einfachere Leute Arbeit haben, die höher Ausgebildete bei Routinen entlasten.


Nimmt kein Blatt vor den Mund: Publizist Erik Händeler
Foto: Wolfgang List

Sie stellen sich namhaften Wirtschaftswissenschaftlern entgegen und sagen: Es gibt einen 6. Kondratieff-Zyklus, mit dem die aktuellen Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft begründet werden können. Dann müssten die täglichen Nachrichten neu geschrieben werden?

Die Zukunft entsteht an den Knappheiten. Als die englischen Unternehmer im 18. Jahrhundert nicht mehr hinterherkamen, Bergwerke zu entwässern und Spinnräder anzutreiben, haben sie den wissenschaftlichen Mitarbeiter der Uni Edinburgh, James Watt, beauftragt, einen Dampfmaschine rentabel zu machen. Als der Mangel an Transport weiteres Wachstum verhinderte, musste die Eisenbahn gebaut werden. 

Als die Wissensflut explodierte und wir mit Zettelkästen nicht mehr hinterherkamen, musste der Computer vorangetrieben und weiterentwickelt werden. Alle diese grundlegenden Innovationen benötigten auch eine bestimmte Infrastruktur und bestimmte Organisationsmuster und Verhaltensweisen, um die aufgestaute Knappheit zu überwinden und die Wirtschaft stark wachsen zu lassen. 

"Nachdem der Computer sich weitgehend ausgebreitet hat, müssen wir den nächsten Aufschwung in der Knappheit von heute suchen."

Diese 40 bis 60 Jahre langen Strukturzyklen hat Schumpeter nach Nikolai Kondratieff benannt, der sie in den 20er Jahren in Aufsätzen beschrieb, übrigens auch auf deutsch. Damals hatten Dampfmaschine, Eisenbahn und der elektrische Strom lange Konjunkturzyklen getragen. Aus dieser Sicht stellt sich die Frage: Was ist jetzt knapp? In der Wissensgesellschaft wird die Arbeit so komplex, dass wir viel mehr als früher angewiesen sind auf das Wissen anderer. 

Auf diese Zusammenarbeit sind wir nicht vorbereitet, weil wir entweder bedingungslosen Gehorsam oder Ellenbogenindividualismus kennen, nicht die Universalethik, in der sich jeder nach seinen Gaben entfaltet, diese aber für das Gesamtwohl einsetzt und Respekt hat vor den berechtigten Interessen der anderen. 

Wenn Innovationen grundsätzlich wegen knapper Ressourcen entwickelt und eingeführt werden - und das war unter Hamburgs Kaufleuten auch immer so, warum sind Sie der Überzeugung, dass Gesundheit zum neuen "Flaschenhals" wird, und nicht die Energie?

Wenn Sie einen Mittelständler fragen: Was ist Dein größtes Problem? Dann wird er Ihnen nicht "Energie" nennen, außer er produziert Zement. Das größte Problem sind die Personalthemen: nicht die richtigen Leute finden, schon wieder einen Arbeitsgerichtsprozess führen, Kommunikationsschwierigkeiten. Und vor allem die Lohnnebenkosten: Dahinter stecken die Kosten für Pflege, Arbeitslosigkeit und Krankheitsreparatur, und die haben alle mit einem Mangel an Gesundheit zu tun, der im Lebensstil entsteht und in der Arbeitsweise. 

Der 6. Kondratieff-Zyklus: Information und Gesundheit
Grafik: Erik Händeler

Gleichzeitig hängt der Wohlstand vom produktiven Umgang mit Wissen ab, das berührt die seelischen Schichten, deswegen rückt psycho-soziale Gesundheit in der Vordergrund. Wenn jemand seelisch so verletzt ist, dass er Machtbeweise braucht oder Statusbesitz, um sich selbst für wichtig und wertvoll zu erachten, dann ist das unproduktiv. Der Wachstumseffekt ist nicht das zusätzliche Geld, sondern die höhere Produktivität und die längere produktive Lebensarbeitszeit. 

"Gesundheit wird Wachsuntsmotor, wenn wir den Stress aus dem Arbeitsleben nehmen und bei weniger Arbeitslast flexibler viel länger arbeiten."



Wenn jemand nicht mit Ende 50 Jahren halbtot frühverrentet werden muss, sondern bei weniger Arbeitslast mit Freude und weniger Arbeitszeit bis 67 oder 70 mitarbeitet, dann ist diese zusätzliche produktive Lebensarbeitszeit der Wachstumseffekt.

Wir haben heute eine Arbeitswelt, in der wir 20 Jahre in Bildung, Ausbildung und soziale Fähigkeiten investieren, um die Menschen 30 bis 35 Jahre später in Frühverrentung, Vorruhestand und "Hartz 4" zu schicken. Was muss sich aus Ihrer Sicht in unserem Arbeitssystem ändern?


Sieht Gesundheit als Schlüsselfaktor: Erik Händeler
Foto: Günther Lintl
Wie gesagt: Die zusätzlichen produktiven Lebensarbeitsjahre schaffen den Wohlstand. Wenn wir im Schnitt alle 90 werden, können wir nicht mehr mit 60 in Rente gehen Die ist eh hochtoxisch, sagen mir Ärzte. Wenn man eingebettet bleibt in die Entwicklungen, in den Kollegenkreis, weiter milde gefordert wird, mehr Pausen hat, dann trägt es zu meinem Wohlbefinden bei. 


"Psychosoziale Gesundheit, kooperative Streit- und Arbeitskultur, neue Organisationsformen der Arbeit. Auf die dafür nötigen Erfolgsmuster sind wir noch nicht ausreichend vorbereitet."

Das ganze Geheimnis ist, das wir weniger arbeiten werden, um länger arbeiten zu können. Die meisten Träume lassen sich nicht verwirklichen, wenn man in Rente ist, dafür muss man vorher Gelegenheit bekommen und in der Arbeit ein halbes Jahr aussetzen.

Sie sagen: Die nichtlineare Wissensarbeit mit unstrukturierten Informationen wird unseren künftigen Wohlstand ermöglichen. Planen und Entwickeln, Beraten, Organisieren und Probleme lösen stehen im Fokus - und damit das Einordnen von Wissen. Wie sieht das konkret aus?

Nehmen Sie an: Am Freitag Nachmittag geht eine Maschine kaputt, der zuständige Ingenieur soll sie reparieren. Wenn er es alleine versucht, wird es Montag und er hat den Fehler vielleicht immer noch nicht gefunden. Wenn er aber erst einmal herumtelefoniert, wer ihm helfen könnte, und jemand gibt ihm einen Tipp auf einen Spezialisten, der ihm die entscheidende Information gibt, dann hat er die Maschine am Freitag Nachmittag repariert und sie können weiter produzieren. 

"Die Arbeit wird künftig in Netzwerken organisiert werden, die nach tagesaktuellen Kompetenzen zusammengestellt werden."

Wohlstand ist in Zukunft nicht, noch härter zu arbeiten, sondern sich besser auszutauschen. Wenn wir ein Problem haben, haben wir nicht die Zeit, fünf Fachbücher durchzulesen. Wir müssen jemanden fragen können, der das getan hat, und in einer Minute erklären kann, was die Lösung ist. Wenn wir dann im Team von Spezialisten sind, wird die Fähigkeit entscheidend für den Wohlstand, unterschiedliche Kompetenzen zusammenzufügen, ohne sich in Seilschaften, Ego- oder Gruppenkriege zu verzetteln, sondern von der Sache und vom Gesamtwohl auszugehen. 

Wir werden Berufe bekommen, die 80 Prozent ihrer Zeit lesen, lernen und aktuell bleiben, während sie 20 Prozent ihrer Arbeitszeit aufwenden, um ihr tiefes Nischenwissen in den verbliebenen Rumpfmannschaften der Firmen anzubringen.

Geht den Ursachen auf den Grund: Zukunftsforscher Händeler
Foto: Erik Händeler

Die Produktivität einer Gesellschaft hängt immer von der Realwirtschaft ab, also nicht von Aktienkursen oder Zinsentwicklung. Wovon hängt dann die Produktivität in der Wissensgesellschaft ab, sprich, was ist der reale, entscheidende Erfolgsfaktor, den Standorte ausmachen werden?

Kapital können Sie überall auf dem Globus leihen, und sei es in Saudi-Arabien; eine Maschine kann jeder überall kaufen, Wissen vom Internet herunterziehen, sich einen Spezialisten in Paris mieten, seine Produkte weltweit vermarkten. Der einzige entscheidende Unterscheid wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Wissen produktiv umzugehen.

"Mit Befehlen kann man Wissensträger einschüchtern, aber sie werden ihr Bestes dann schön für sich behalten."

Und das ist immer Umgang mit anderen Menschen die man unterschiedlich gerne mag, kennt oder mit denen man unterschiedlich viele berechtigte Interessensgegensätze hat. Die Kultur des Zusammenwirkens entscheidet den weltweiten Standortwettbewerb. Das hat auch mit den religiösen Wurzeln in der Geistesgeschichte zu tun.

Unsere Hamburg-Frage:

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier - und der ehrbare Hamburger Kaufmann ist dies seit nunmehr 800 Jahren. Welche Botschaft haben Sie an Hamburger Familienunternehmer und Politiker, damit die Wirtschaftshauptstadt Deutschlands auch in Zukunft erfolgreich bestehen kann?

Geht über den Eigennutz hinaus. Seid ehrlich über Eure Ziele und Eure Motivation, Streitet nicht zur Vernichtung des anderen, sondern um der Sache willen bezogen auf ein Projekt. Denkt langfristig. Produktiver Umgang mit Wissen benötigt Versöhnungsbereitschaft – wir werden es uns nicht leisten können, nicht mehr miteinander zu reden, wenn wir zerstritten sind. Leider streiten wir oft nicht, weil wir entweder schlecht streiten würden oder weil wir Status oder Positionen nicht in Frage stellen wollen. 

"Der einzig entscheidende Standortfaktor wird sein, wie groß die Fähigkeit der Menschen vor Ort ist, mit Informationen umzugehen."

Der Mensch möchte sich nicht ändern und will vor allem nur selbst bestätigt werden. Das ist zunehmend eine Wachstumsbremse. Ich bin da aber ein fröhlicher Marktwirtschaftler: Wer sich nicht an die neuen Regeln des produktiven Umgangs von Wissen zwischen Menschen anpasst, der ist halt weniger produktiv, bis der Buchhalter kommt und sagt: 'Oh, wir haben ein Problem …'


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Herzlichen Dank für den visionären Ausblick!
Das Interview führte Thomas Keup

 Hamburg Digital Background: 

Vorstellung Erik Händeler mit Vortrag:
https://youtu.be/ELWXuIJUxfQ

Erik Händeler: Wie uns trotz Digitalisierung die Arbeit niemals ausgeht:
https://youtu.be/6nGnzoXOTBM

Fachbuch Erik Händeler: "Die Geschichte der Zukunft":
http://www.erik-haendeler.de/seiten/buch/zukunft.htm

"Wenn der Zyklus die Krise erklärt", SZ 2013:
www.erik-haendeler.de/download/sueddeutsche_zeitung_17-09-2013.pdf

Kondratieff-Zyklen in der Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kondratjew-Zyklus

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