Mittwoch, 30. Mai 2018

HANSEINVESTIGATION: Cherrypicker WorkGenius - Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Jobcenter.

HAMBURG DIGITAL RECHERCHE

Gesundheit ist das nächste Megathema: Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" prophezeit uns in der aktuellen Ausgabe den "Doktor Algorithmus". Google, Apple, Facebook und Amazon werten Fitness-Apps aus, gründen Krankenversicherungen, forschen an AR- und VR-Lösungen für Operationssäle und implantierbare Minicomputer. Die großen Hamburger Krankenkassen DAK und Techniker wissen: die Zukunft gehört der Gesundheit.



Die Wirtschaft steht vor einem Paradigmenwechsel: die Wegwerfmentalität beim Personal nach 30 Jahren Hamsterrad funktioniert nicht mehr, die Alterspyramide steht auf dem Kopf, Fachkräftemangel bremst Innovationen und die Digitalisierung aus. Im nächsten Aufschwung geht es um die Wissensgesellschaft. Das Hamburger Startup WorkGenius will die 150% fitten mit zweifelhaften Methoden selektieren - und damit groß Kasse machen. Eine Hamburg Digital Recherche:

Gesundheit - das heißt heute Diagnosen, Behandlungen, Kuren. Und wenn nichts mehr geht: Berufsunfähigkeit, Frühverrentung, Abstellgleis. So schleust die Wirtschaft seit Jahrzehnten Arbeitnehmer nach Schule, Studium und Ausbildung durch die Mühlen der Betriebe. Mit 50 dann der Tritt vor die Tür: zu alt, zu unflexibel, zu teuer. SPD-Altkanzler Schröder verantwortet mit den Hartz-Gesetzen den Dammbruch. Ein Hamburger Startup geht noch einen Schritt weiter: WorkGenius - zuvor Mylittlejob - filtert die Schwachen, die nicht 150% Leistungsfähigen mit einem zweifelhaften Psychotest aus, bevor sie eine Chance haben.


Die algorithmusbasierte Personalplattform WorkGenius:
"Complient-conform" oder menschenfeindliche Selektion?
Screenshot: HANSEVALLEY

3,5 Millionen Euro investieren die ehrenwerten Verlegerenkel Axel Sven Springer und John Jahr jr. sowie Kanzleiinhaber und Springer-Aufsichtsrat Oliver Heine im Sommer 2017 im Rahmen der Series A in das Hamburger Later Stage-Startup Mylittlejob. Die Bewertung des künftigen Geschäfts: ein "mittlerer achtstelliger Bereich" - heißt im Klartext: 50 Millionen Euro Profitpotenzial - oder mehr. Verlegerkinder, Aufsichtsrat, Privatinvestoren und Family Offices wissen, was sie finanzieren: eine Algorithmen-basierte Selektion von Menschen. Das erinnert an ganz dunkle Zeiten, durch die der Verlegernachwuchs offenbar sein Geld mehren lassen will.

John Jahr sagt dazu stolz gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Bilanz seines Freundes und Co-Investors Axel Sven Springer: "Das Recruiting- und Matching-Modell von Mylittlejob antizipiert einen Umbruch im Arbeitsmarkt, der sich leise hinter uns aufbaut und unsere Rolle in der Wirtschaft verändern wird“. Der Enkel des gleichnamigen Hamburger Verlegers weiter: „Persönlich überzeugt haben mich die Gründer, weil sie gleichzeitig auf originäre Qualität setzen und groß denken, was ich in dieser Kombination heute nicht oft sehe.“

Algorithmusbasierte Jobvermittlung mit 50 Mio. Euro schwerer Bewertung.

Besitzen die beiden Gründer und Datensammler wirklich die unterstellte Qualität? Daniel Barke und Marlon Litz-Rosenzweig, Gründer und Geschäftsführer der Mylittlejob GmbH aus dem Herrengraben in der Hamburger Neustadt, wissen was sie tun: In 5 Jahren wollen sie Menschen und Arbeitsplätze automatisiert zusammenbringen, berichtet Daniel Barke im Rechercheinterview. Dabei gibt sich der im Grindelviertel beheimatete Betriebswirt Barke äußerst menschenfreundlich: "Langfristig wollen wir Menschen wieder die Chance geben, zu arbeiten." Was altruistisch klingt, hat eine 50 Mio. Euro schwere Bewertung bekommen.


Mylittlejob-Gründer Daniel Barke und Marlon Litz-Rosenzweig:
"Menschenfreunde" oder Elite-gebildete "Cherrypicker"?
Pressefoto: WorkGenius

Dabei hat alles tatsächlich idealistisch angefangen: München, irgendwann zwischen 2009 und 2012. Daniel ist in seinem Bachelor-Studium in München - und findet keinen Ferienjob. Wie es ein guter Nachwuchsunternehmer tut, betrachtet er das Problem aus einer wirtschaftlichen Perspektive: Für Arbeitgeber ist das Finden, Auswählen, Anstellen, Anmelden und Einarbeiten ein zeitraubender Prozess. Für kurzfristige Aushilfen gilt dies umso mehr. Mit seinem besten Freund aus der Schulzeit denkt er darauf rum, wie man das Matchen von Jobs und Studenten besser organisieren kann.

Wie bei Aschenbrödel: 'Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ... ins Jobcenter.'

Noch während des Studiums lassen die Gründer Daniel und Marlon 2011 einen ersten Prototypen zum Matchen von Angebot und Nachfrage bauen. Ein Jahr später dann der Lackmustest: Hat die Idee das Potenzial, zu skalieren? Wie so oft, waren Unternehmer durchaus angetan - doch keiner nutzte den neu entwickelten Service. Ungebunden und frisch mit der Eliteausbildung an der Munich Business School fertig, wagt Daniel mit seinem Schulfreund den Sprung ins kalte Wasser. Schließlich kommt man nur als Unternehmer finanziell ganz groß raus - nicht als Angestellter.


50 Fragen, 5.000 Datenpunkte, 2 Mrd. Datensätze:
Professionelles Matchmaking oder psychologischer Seelenstrip?
Screenshot: HANSEVALLEY

Mehr als 1,5 Jahre baut der Nachwuchs am Personal-Marktplatz. 2 VWL-Professoren der renommierten ETH Zürich bringen sie auf die entscheidende Idee: statt Interviews mit Kandidaten zu führen, setzen die cleveren Betriebswirte auf digitale Analysen. Im Mittelpunkt: das Verhalten eines Kandidaten. Daraus sollen Stärken und Schwächen abgeleitet werden. Wie bei Aschenbrödel gilt beim Elitenachwuchs: 'Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ... ins Jobcenter.' "Wir hatten eine klare Vorstellung, was wir erreichen wollten", betont Jungunternehmer Daniel Barke überzeugt. 

Datenbasierte Jobvermittlung: "Ist ja widerlich" oder nur "Pre-Selektion"?

Auf gut Deutsch: 'Einordnung in Potenziale' - was immer das heißen wird. Die Online-Recruiter bauen einen Test mit 50 Fragen auf, untergliedern ihre Neugierde in 5 Dimensionen. Neben Fragen zu Mehrsprachigkeit oder mathematischem Interesse stehen auch die Religionszugehörigkeit, die besuchte Elite-/Universität und die sozialen Fähigkeiten auf dem Fragenkatalog: 'Wie verhalte ich mich bei Beantwortung von ...?' Der Test beurteilt z. B. die Geschwindigkeit beantworteter Fragen, einen Wechsel von Antworten - die ganze psychologische Trickkiste im Interesse der Personalselektion.

5.000 Datenpunkte wertet die eigene Engine aktuell aus, mit rd. 2 Mrd. Informationen ist das System bereits gefüttert. Ist es DSGVO- und Grundgesetz-konform, nach Religion zu selektieren? Unterm Strich steht ein gläserner Kandidat. Durch Jobhistorie und Bewertung seitens der Arbeitgeber können die "Cherrypicker" eine weitere Qualifizierung vornehmen. Die Reaktion auf das KI-basierte Ausfiltern reichen laut Co-Founder Daniel von "Ist ja widerlich" bis zu "Pre-Selektion". 300.000 Studenten mussten bis heute "Seelenstriptease" machen, um über die Datenplattform an einen Job zu kommen - noch vor der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung.

Selektion im Auftrag von "Menschenfreunden", wie Amazon und DHL.

Bis heute hat die 2011 als Mylittlejob gestartete Techfirma nach eigenen Angaben mehr als 1,2 Millionen Studentenjobs in 5.000 Unternehmen vermittelt, 90% davon in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dazu weitere EU-Länder, wie Großbritannien und die Niederlande, Italien und Spanien. Zu den Nutzern gehören zweifelhafte Arbeitgeber, wie das noch zur Otto Group gehörende About You, Amazon und DHL. Im jetzigen Wachstum plant WorkGenius von 35 auf gut 50 Mitarbeiter zu wachsen, um sein erweitertes Geschäftsmodell der Freelancer-Vermittlung abdecken zu können. Denn was mit Studenten "quick & dirty" möglich ist, ist mit Freelancern erst Recht machbar - in 28 Minuten zum ethisch fragwürdig vermittelten Projekt.


Mylittejob-Gründer und Geschäftsführer Daniel Barke:
Glaubwürdiger Unternehmer oder berechnender Plattform-Betreiber?
Pressefoto: Mylittejob

Die Zukunft für Datensammler WorkGenius hat gerade erst begonnen: Der Ausstieg von Unternehmen aus Tarifverträgen, das Abdrängen gering qualifizierter Mitarbeiter in prekäre Jobs und die Entwertung des Faktors Arbeit gehen weiter. Anforderungsprofile wechseln immer schneller, Unternehmen erhöhen den Druck, Technologien tun ihr Übriges. Gründer und Geschäftsführer Daniel Barke bringt es dagegen völlig uneigennützig auf den Punkt: "Wir wollen Technologien nutzen, um Menschen wieder in den Job zu bringen." Die eigenen PR-Aussagen klingen anderes: 'Die Studenten der Academic Workforce sind eine zuverlässige, skalierbare Verstärkung, wenn ein Unternehmen oder Freiberufler qualifizierte Arbeitskräfte kurzzeitig benötigen.

Wer ist beim Plattform-Geschäftsmodell Gewinner, wer "Depp vom Dienst"?

Bleibt man bei der 50 Mio. €-Bewertung, ist eine weitere Ansage des Gründers wesentlich glaubwürdiger: "Natürlich wollen wir eine der Plattformen entwickeln." Fragt sich, wer bei einer Plattform der Gewinner ist, wer als "Depp vom Dienst" die Rechnung bezahlt - mit gläsernem Profil, digitalen Daumenschrauben, Algorithmus-basierten Abhängigkeiten? Der hauseigene Kodex sieht im Zweifelsfall ein Abwerten im Ranking und einen Ausschluss von der Plattform vor. WorkGenius ergänzt im PR-Bereich: 'Selbstverständlich gibt es eine Geld-zurück-Garantie, sollte das Ergebnis einmal nicht den Anforderungen entsprechen.' Uber lässt grüßen.

Kein Wunder, dass nach Barkes Aussage "das Modell in den USA noch viel besser funktioniert". Sind es die vom Eliteabsolventen gelobten "fortschrittlichen Arbeitsmodelle", oder sind es hoch verschuldete Studenten, die auf Jobs angewiesen sind, um ihre Miete zu bezahlen? Womit sich wieder die Frage nach dem "Depp vom Dienst" stellt - und wer den großen Reibach machen will-werden-wird. Vielleicht ist die Zeit reif, Datenmodelle extra zu besteuern, wie von Angela Merkel Anfang der Woche in Berlin gefordert. Damit Menschen nicht zu billigen - pardon: kostenlosen - Datenlieferanten werden, mit denen Springer und Jahr jr. ihre Verlagsmillionen mehren wollen.

Die bisherige Bundeswirtschaftsministerin und künftige Fintech-Gründerin Brigitte Zypries brachte in Ihrer Keynote am Dienstag-Nachmittag auf der "Digital North" in der Altonaer Fischauktionshalle zum Personal-Recruiting in der digital-vernetzten Welt offen auf den Punkt:

"Stellen Sie die auf den ersten Blick vielleicht ein wenig merkwürdig aussehenden, stellen Sie die ein, die andere, neue Ideen einbringen." 

Das hat mit psychologischem Seelenstriptease, kostenloser Datensammelwut, automatischer Personalselektion, digitalen Daumenschrauben und einer "Academic Workforce" nichts zu tun - aber mit Menschen, Möglichkeiten und Moral. Unsere Meinung.


 Redaktioneller Hinweis: 

Das Unternehmen sah sich leider nicht im Stande, Informationen zu aktueller Finanzierung, Geschäftserweiterung und Umbenennung mit Veröffentlichung der Neuigkeiten über einen Presseverteiler zu versenden. Eine Anfrage am Montag-Mittag zur kurzfristigen Zulieferung ergänzend erforderlicher Informationen blieb über 6 Stunden ohne jede Rückmeldung, obwohl die E-Mail nach 10 Minuten gelesen wurde. Der Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme scheiterte an einer über die PR nicht informierten Mitarbeiterin.

Gründer Daniel Barke: "Ist der Typ noch ganz sauber im Kopf?"

Der Pressebereich von WorkGenius verweist auf Artikel aus den Jahren 2011 bis 2015, ein Pressekontakt zur direkten Anfrage gibt es nicht. Erst die Ankündigung der weitergehenden Beleuchtung des Geschäftsmodells sorgte innerhalb von 25 Minuten für eine Rückmeldung der Hamburger PR-Beraterin Melanie Schehl. Die Reaktion von Unternehmer Daniel Barke auf den Hinweis zur kurzfristig erforderlichen Zulieferung von ergänzenden Informationen: "Ist der Typ noch ganz sauber im Kopf?" Zitat Ende. Die Mail liegt uns vor.

PR-Beraterin Melanie Schehl: "Ich muss auch Grenzen setzen."

Leider eskalierte der Versuch einer rechtzeitigen Zulieferung ergänzender Informationen an mehrfach geäußerten Vorwürfen der PR-Beraterin Schehl. Sie griff unsere Arbeit mit Vorwürfen der "Unprofessionalität" und "Erpressung" an. HANSEVALLEY weist das Verhalten des seit 7 Jahren engagierten Unternehmers Daniel Barke und der 15 Jahre erfahrenen PR-Beraterin Melanie Schehl als unternehmerisch und kommunikativ inakzeptabel zurück, verweist auf die Redaktionsleitlinien "HANSECODEX" und empfiehlt die Lektüre des Fachbeitrags der Münchener Agentur Maisberger.

Wir sind ausschließlich unseren Lesern und uns selbst verpflichtet.

Das Hamburger Later Stage Startup mit offensichtlich professionellen Vertriebs- und Kontrollprozessen schreibt in seinem Kodex: "Beleidigungen, Hass, Rassismus und ähnliche Inhalte werden von uns nicht beantwortet und können zu Deinem sofortigen Ausschluss führen." HANSEVALLEY schließt trotz Beleidigungen und inakzeptablen Vorwürfen WorkGenius nicht aus, auch wenn WorkGenius/Mylitlejob und PR-Beraterin Schehl sich im Verhalten "toter Käfer" üben.

 Hamburg Digital Background: 

WorkGenius aka Mylittlejob:
www.workgenius.com/de/

WorkGenius Daumenschrauben:
www.workgenius.com/de/codex

WorkGenius Pressebereich:
www.workgenius.com/de/presse

John Jahr jr. ist stolz auf Mylittlejob, Die Welt/Bilanz:
www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article168555338/Mylittlejob-expandiert-in-die-USA.html

Ertragssteuer auf Datengeschäfte, Zeit Online:
www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/steuerreform-angela-merkel-daten-eu

Facebook-Datenskandal nur der Anfang, Handelsblatt:
www.handelsblatt.com/politik/deutschland/datenschutz-bundesdatenschuetzerin-vosshoff-fuerchtet-nach-facebook-datenskandal-aehnliche-vorfaelle-bei-anderen-plattformen/21234650.html

Hintergründe: Das Geschäft mit Daten, ZDF:
hwww.zdf.de/nachrichten/heute/das-geschaeft-mit-den-daten-100.html

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