Sonntag, 15. Oktober 2017

HANSEPERSONALITY Jens Assmann: So lange wir das "Beamen" nicht erfunden haben, brauchen wir physische Transportmittel.

HAMBURG DIGITAL INTERVIEW

Design Thinking, Digitalisierung, Transformation: Der Reeder fragt ich bei diesen Buzzwords: 'Was soll ich damit?' Und der Spediteur wundert sich: 'Seit wann kann man Container beamen?' Bei aller hanseatischen Zurückhaltung tut sich dennoch etwas zwischen Alster und Elbe: Ein Campus, ein Hub und ein Lab wollen der Logistik in die Zukunft verhelfen, ebenso, wie ein Netzwerk, ein Testfeld und diverse Runden.

Die Digitalisierung ist an Kaimauern, Terminals und Blocklagern angekommen. Die ersten fünf Startups haben den Digital Hub Logistics Hamburg bezogen. Etablierte Player laden zu Workshops und Meetups, um den Anschluss nicht zu verpassen. Mittendrin: die Handelskammer Hamburg mit dem langjährigen Kenner und Leiter Verkehr, Hafen und Schifffahrt. Unser HANSEPERSONALITY ist Jens Assmann:

Gehen wir gleich in die Vollen: Wo sehen Sie als langjähriger Kenner von Schifffahrt, Hafenwirtschaft und Logistik die besonderen Chancen als auch die speziellen Herausforderungen durch die Digitalisierung von Dienstleistungen und ganzen Geschäftsbereichen?

Die etablierten Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass ihre Geschäftsmodelle von Firmen herausgefordert werden, die bislang nicht zu ihren klassischen Konkurrenten gehören. Ein Start-up in der Logistik muss nicht zwingend aus dem Güterverkehr kommen, um diesen revolutionieren zu wollen.

Dadurch, dass vor allem die maritime Logistik sehr auf B2B-Beziehungen und weniger B2C-Kontakte ausgerichtet ist, sind sie bislang noch nicht so im Visier der Transformation durch Branchenfremde gewesen. Eines ist aber klar: „Lange Lunte, großer Knall“ - wie es eine Deloitte-Studie für die Logistik genannt hat - heißt zwar, dass man eine längere Vorwarnzeit als z. B. die Medienbranche hat, es bedeutet aber auch, dass der „Knall“ folgen wird und der „Digitalisierungs-Kelch“ an dieser Branche nicht vorüber geht.

Laut ihrem Hamburger Logistikbarometer sind die Hamburger Logistikunternehmen bereit, ihre Prozesse zu digitalisieren, hoffen aber darauf, dass der Kelch an ihren Dienstleistungen vorbeigeht. Was haben Kammer und Verbände versäumt, um Hafen und Logistik frühzeitig einzustimmen?

Sie sind durchaus eingestimmt. Wenn man über Digitalisierung redet, sind aber drei Ebenen zu unterscheiden: Digitalisierung von Prozessen, Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen und schließlich die Digitalisierung des Geschäftsmodells. In der Logistik gibt es noch zahlreiche Prozesse, die nicht vollständig digitalisiert sind und Medienbrüche aufweisen. Mit dieser Einstiegsebene der Digitalisierung haben sich viele Firmen schon vor etlichen Jahren auseinandergesetzt, andere haben ihn noch vor sich. Das Erstellen neuer Produkte und Dienstleistungen, die durch digitale Transformation ermöglicht werden, ist schon anspruchsvoller. 


Die Königsdisziplin ist dann die Digitalisierung des eigenen Geschäftsmodells, quasi die Disruption von innen. Es gibt einige interessante Beispiele, bei denen große Firmen selbst ein Startup gründen. Wenn es gut läuft, bekommt es große Freiheiten und das Team kann ohne die „Legacy“ der Firma innovativen Ideen freien Lauf lassen. Am Ende des Tages muss man aber auch festhalten, dass wir, solange wir das „Beamen“ nicht erfunden haben, zum Transport von Gütern auch weiterhin „analoge“ und physische Transportmittel und Wege benötigen und Digitalisierung nicht alles auf den Kopf stellen wird.

Der Verband Deutscher Reeder lädt zu einem Blockchain-Workshop ein, die Vereinigung Hamburger Schiffsmakler wird während der "Eisbein-Woche", im Digital Hub Logistics Unternehmen mit Startups vernetzen. Was werden Sie künftig unternehmen?


Gerade in diesem Jahr haben wir unsere Aktivitäten zur digitalen Transformation der Logistik in der Handelskammer deutlich ausgebaut. Bereits im Mai haben wir die fünf Hamburger Güterverkehrsverbände zu einem Workshop eingeladen, um gemeinsam über die raschen Veränderungen durch Digitalisierung im Markt zu sprechen. Im Juli haben wir dann eine große Veranstaltung zum Thema durchgeführt, bei der u.a. Frau Titzrath für die HHLA und Herr Dr. Rodi für Kühne+Nagel darüber berichtet haben, wie sich ihre Firmen auf die digitalen Transformation einstellen. 

Die Frage, ob die Blockchain-Technologie Lieferketten revolutioniert, haben wir dann in einer Veranstaltung im September erstmals diskutiert. In der kommenden Woche steht eine branchenübergreifende Delegationsreise unserer Handelskammer zu den Disruptoren ins Silicon Valley an und für 2018 planen wir bereits weitere Digitalisierungsveranstaltungen.

Der Chief Digital Officer der HPA - Dr. Sebastian Saxe - lädt auf HANSEVALLEY alle Player im Hafen - inkl. DAKOSY und HHLA - ein, die gewaltigen Herausforderungen der Digitalisierung im Schulterschluss zu meistern. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag?

Die Logistikstandort Hamburg hat gerade mit seiner einmaligen Kompetenz im maritimen Bereich die Chance, ein Taktgeber der Digitalisierung zu werden. Ein Zusammenspiel der Hamburg Port Authority mit ihrer Zuständigkeit für die Digitalisierung der Hafeninfrastruktur mit den Firmen entlang der Wertschöpfungskette, die sich um die Digitalisierung der Prozesse beim Transport von Gütern kümmern, existiert bereits und sollte weiter intensiviert werden. 

Warum sollte sich Hamburg nicht zum Ziel setzen, der erste Standort in der Welt zu sein, der seine maritime Lieferkette als Prozess nicht nur digitalisiert, sondern komplett auf der Blockchain abbildet?

Dr. Alexander Geisler, Geschäftsführer der Hamburger Schiffsmakler und -agenten, fordert auf HANSEVALLEY eine stärkere Verbundausbildung, um dem Nachwuchs die ganze Bandbreite der durch die Digitalisierung zersplitterten Berufe zu vermitteln. Was werden Sie unternehmen?

Wir haben die maritimen Spitzenverbände in der letzten Woche zu einem Auftaktgespräch zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf maritime Berufsbilder eingeladen. Es geht darum, dass wir uns vor Augen führen, was sich bei dualen Berufen wie dem Schifffahrtskaufmann oder dem Kaufmann für Spedition und Logistik verändern wird und diskutieren, wie wir dies in die Berufsbilder einbringen wollen. Ende November wird es dann einen branchenübergreifenden Roundtable in unserer Handelskammer geben, der eine große Konferenz zur digitalen Transformation der Arbeitswelt für 2018 vorbesprechen wird.

Hamburgs "Kammer-Digitalisierer" und HSBA-Hochschulchef Uve Samuels fordert in seinem aktuellen Buch "Das Kapital 4.0" eine digitalisierte Kammer als Netzwerk für die Zukunft der deutschen Wirtschaft. Was sagen Sie zu dieser mutigen Forderung?

Ich finde das spannend. Die zentrale Frage lautet: Was macht eine solche digitale Handelskammer für ihre Mitglieder besser, schneller, effektiver? Wie fördert sie den Erfolg der Unternehmen im Kontext der Digitalisierung optimal? Um das herauszuarbeiten, haben wir in der Handelskammer das umfassende Digitalisierungsprojekt "Digital Voraus" gestartet und stellen dabei unsere Prozesse und Angebote grundlegend auf den Prüfstand.

Unsere Hamburg-Frage an Sie: Es gibt zahlreiche Initiativen zur Digitalisierung, wie den "Digital Hub Logistics Hamburg", den "Hammerbrooklyn Digital Campus" und das geplante "Deutsche Maritime Zentrum". Was wünschen Sie sich von der Stadt, damit die Initiativen erfolgreich sind?

Das ist ein Thema, das mich sehr umtreibt. Neben den genannten Initiativen gibt es noch das "Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Hamburg" in der Handelskammer, das sich ebenso mit Logistik beschäftigt, das Netzwerk rund um die Bewerbung Hamburgs für den ITS-Kongress sowie das "Digitale Testfeld Hamburger Hafen" vom Bundesverkehrsministerium. So schön es ist, dass viele virtuelle und physische Plattformen zur Logistik entstehen, so sehr müssen wir darauf achten, dass Schnittstellen zwischen den Plattformen definiert werden. 

Für den Kunden dieser städtischen und privaten Angebote sollte schnell ersichtlich sein, welche Kernkompetenz angeboten wird und was die Unterschiede sind. Hamburgs Ziel muss es sein, dass diese Plattformen Etablierte und Start-ups zusammenbringen, damit ein organisiertes und ständiges Herausfordern und in Frage stellen stattfindet. Wenn das gelingt, werden die nächsten digitalen Logistikinnovationen aus Hamburg kommen.


Vielen Dank für die offenen Antworten!
Das Interview führte Thomas Keup.


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 Hamburg Digital Background: 

HANSEPERSONALITY Dr. Uve Samuels:
Blockchain ist unsere Chance!

HANSEPERSONALITY Dr. Sebastian Saxe:
Erfolgsfaktoren für Digitalen Hafen und Digitale Stadt

HANSEPERSONALITY Dr. Alexander Geisler:
Probleme vor Ort lassen sich selten in einen digitalen Prozess fassen.

01.11.2017: "EISBEIN-STARTUPS" - Logistics meets Digital
www.eventbrite.com/e/eisbein-startups-logistics-meets-digital-tickets-38800888502

Handelskammer Hamburg: Logistikbarometer 2017

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