Dienstag, 2. April 2024

HANSEMACHINE: Die stille Revolution der KI-Sprachmodelle.

HANSE DIGITAL GASTBEITRAG

"Wir erleben eine historische Wende, vielleicht sogar den wichtigsten Moment seit der Markteinführung des iPhones. Jedenfalls wird dieser Moment das Silicon Valley verändern."
- Peter Thiel, Serien-Gründer und Investor, u. a. Founders Fund, San Francisco -


Das KI-Sprachmodell ChatGPT begeistert seine Nutzer.
Grafik: Alexandra Koch, Pixabay

Sprachmodelle wie ChatGPT sind derzeit in aller Munde. Kaum eine Technologie hat seit Erscheinen von ChatGPT-3 am 30. November 2022 für so viel Furore gesorgt, wie diese komplexen KI-Systeme, die menschliche Sprache in beeindruckender Qualität verstehen und generieren können. Wie funktionieren Sprachmodelle und welche Möglichkeiten eröffnen sie für unseren Alltag und die Arbeitswelt? Norddeutschlands KI-Experte Oliver Welling Blick blickt für HANSEVALLEY hinter die Kulissen dieser faszinierenden Technologie.

Rund 16.000 KI-Startups gibt es allein in den USA, über 6.000 in Europa und 300 in Deutschland. Diese Zahlen verdeutlichen die enorme Dynamik, mit der sich das Feld der Künstlichen Intelligenz entwickelt. Im Zentrum des Interesses steht dabei aktuell die "Generative KI". Hier handelt es sich um Systeme, die aus riesigen Datenmengen lernen, neuartige Inhalte wie Texte, Bilder oder Musik zu erschaffen. Das gemeinsame Fundament der Anwendungen sind sogenannte "Large Language Models" - kurz: Sprachmodelle.

Sprachmodelle eröffnen völlig neue Möglichkeiten der "Mensch-Maschine-Interaktion". Von virtuellen Assistenten über automatisierte Kundenkommunikation bis hin zu intelligenten Schreibwerkzeugen - die Einsatzgebiete sind vielfältig. Im Kern geht es darum, die Lücke zwischen menschlicher Sprache und Computersystemen zu schließen. Sprachmodelle verstehen natürliche Sprache, erkennen Kontexte und Nuancen. Sie antworten mit korrekter Grammatik, konsistenter Logik und sogar einem kreativem Ausdruck.

Das klingt beeindruckend. Doch wie funktionieren Sprachmodelle eigentlich? Im Grunde handelt es sich um komplexe Deep-Learning-Systeme, die mit riesigen Textdatenmengen trainiert werden. Sie lernen, die verborgenen Muster und Strukturen der Sprache zu erkennen und zu modellieren. Dafür kommen vor allem sogenannte "Transformer"-Architekturen zum Einsatz, die aus vielen Schichten künstlicher Neuronen bestehen.

Im Training analysiert das Sprachmodell Milliarden von Wörtern und Sätzen. Es lernt, wie Begriffe zusammenhängen, wie Sätze aufgebaut sind, wie sich Bedeutungen im Kontext entfalten. Nach und nach entwickelt es ein tiefes Verständnis für Sprache, das weit über starre Grammatik-Regeln hinausgeht. Am Ende steht ein Modell mit Milliarden von Parametern - eine Art digitales Gehirn, vollgepackt mit sprachlichem Wissen.

Einmal trainiert, lässt sich dieses Modell für vielfältige Aufgaben einsetzen - ein Prozess, der als "Fine-Tuning" bezeichnet wird. Ob Übersetzung, Textzusammenfassung oder kreatives Schreiben, das Grundmodell wird auf den spezifischen Anwendungsfall angepasst und optimiert. So entstehen spezialisierte Sprachmodelle, die in ihrem jeweiligen Gebiet oft verblüffende Ergebnisse liefern.

Doch nicht alle Sprachmodelle sind gleich. Je nach Anwendungsfall kommen unterschiedliche Architekturen und Optimierungsverfahren zum Einsatz. Generative Modelle wie GPT sind darauf trainiert, eigenständig Texte zu verfassen. Diskriminative Modelle wiederum analysieren und klassifizieren Texte, beispielsweise um Spam-Mails zu erkennen. Daneben gibt es spezialisierte Modelle für Dialog, Übersetzung oder Sentimentanalyse.

Welche Sprachmodelle gibt es konkret und wozu werden sie eingesetzt? Hier ein kurzer Überblick über einige der bekanntesten Vertreter:

ChatGPT von OpenAI gilt als ein Original unter den KI-Sprachmodellen.
Grafik: Franz26, Pixabay

1. OpenAI ChatGPT-4

Ein fortschrittliches Sprachmodell, entwickelt von OpenAI. ChatGPT-4 als Turbo Vision erweitert dabei die Funktionalitäten des ursprünglichen ChatGPT-4 durch verbesserte Fähigkeiten in der Verarbeitung und Generierung von natürlicher Sprache, kombiniert mit visuellen Verarbeitungskapazitäten, um ein tieferes Verständnis von Text- und Bildinhalten zu ermöglichen.

2. Google Gemini

Gemini beschreibt eine Reihe multimodaler Sprachmodelle von Google. Entwickelt von der Google-Tochter DeepMind, baut Gemini auf den Vorgängermodellen LaMDA und PaLM 2 auf und hebt deren Fähigkeiten auf ein neues Niveau. Mit der Verarbeitung von Text, Bild, Video, Audio und Code in drei Leistungsstufen - Nano, Pro und Ultra - eröffnet Gemini faszinierende Möglichkeiten. Seit der Vorstellung im Dezember 2023 beeindruckt diese state-of-the-art KI mit ihrer Vielseitigkeit und Leistungsfähigkeit.

3. Claude (Anthropic)


Anthropic stellt mit Claude 3 einen leistungsstarken KI-Chatbot vor, der selbst GPT-4 von OpenAI in den Schatten stellen soll. In drei Varianten - Haiku, Sonnet und Opus - verfügbar, beeindruckt Claude 3 mit verbesserten Analyse-, Vorhersage- und Leistungsfähigkeiten. Als erster multimodaler GenAI-Chatbot von Anthropic eröffnet er zudem neue Möglichkeiten in der Bildanalyse und setzt damit einen weiteren Meilenstein in der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.

4. Perplexity AI

Das Suchmaschinen-Startup revolutioniert die Suche im Internet durch die Verbindung eines leistungsstarken Chatbots mit einer intelligenten Suchmaschine. Im Gegensatz zu herkömmlichen Suchmaschinen ermöglicht Perplexity AI eine natürliche Konversation, bei der Fragen direkt beantwortet werden, anstatt nur Links zu liefern. Durch das Zitieren von Quellen und Websites schafft es Transparenz und Vertrauen in die gelieferten Informationen. Perplexity AI setzt neue Maßstäbe für die Suche und den Zugang zu Wissen im digitalen Zeitalter.

5. Mistral AI

Mistral AI ist ein aufstrebendes französisches Softwareunternehmen, hat sich seit seiner Gründung im April 2023 der Entwicklung innovativer KI-Lösungen verschrieben. Unter der Leitung der renommierten Forscher Arthur Mensch, Timothée Lacroix und Guillaume Lample, die zuvor bei Meta und Google DeepMind tätig waren, setzt Mistral AI neue Maßstäbe in der Welt der Open-Source-Sprachmodelle. Mit den leistungsstarken Modellen Mistral Large, Medium und Small bietet das Unternehmen über API-Schnittstellen eine breite Palette an Möglichkeiten für kommerzielle Anwendungen. Mistral AI positioniert sich als Vorreiter in der KI-Branche und ebnet den Weg für eine neue Ära der Sprachverarbeitung und -generierung.

6. AlephAlpha Luminous

Aleph Alpha, ein auf KI spezialisiertes Start-up aus Heidelberg, setzt mit seinem Sprachmodell Luminous neue Maßstäbe in Sachen Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Durch eine innovative Erweiterung ist Luminous in der Lage, die Herkunft der generierten Antworten präzise anzugeben und auf mögliche Widersprüche in den Quellen hinzuweisen. Diese Fähigkeit, die Ursprünge der KI-generierten Inhalte offenzulegen, stellt einen bedeutenden Durchbruch dar und adressiert eines der Hauptprobleme aktueller KI-Sprachanwendungen wie ChatGPT. Mit diesem wegweisenden Ansatz ebnet Aleph Alpha den Weg für vertrauenswürdigere und zuverlässigere KI-Lösungen und unterstreicht seine Vorreiterrolle in der Entwicklung transparenter und nachvollziehbarer KI-Technologien.

7. Inflection Pi 2.5

Inflection Pi 2.5 verspricht eine bahnbrechende Kombination aus hoher Intelligenz und Empathie in der Welt der KI-Chatbots. Als eines der ersten Produkte von Inflection.AI, einem 2022 gegründeten Technologieunternehmen mit Sitz in Palo Alto, Kalifornien, setzt Pi 2.5 neue Maßstäbe in der generativen KI.

Basierend auf einem umfangreichen Datensatz aus Text und Code, ist Pi 2.5 in der Lage, beeindruckende Leistungen in Bereichen wie Textgenerierung, Übersetzung und kreativer Inhaltserstellung zu erbringen. Doch es ist nicht nur die rohe Leistungsfähigkeit, die Pi 2.5 auszeichnet. Durch die Integration von emotionaler Intelligenz (EQ) und einem hohen Intelligenzquotienten (IQ) schafft Inflection eine einzigartige Persönlichkeit, die sich durch Empathie und Einfühlungsvermögen auszeichnet.

8. Poe.com

Poe.com ist eine innovative Plattform, die Nutzern die Möglichkeit bietet, über eine zentrale Schnittstelle mit verschiedenen KI-Modellen wie ChatGPT, GPT-4, Claude 2, Claude 3, Mistral Small, Medium und Large, sowie viele Bild-KIs wie DALLE 3 zu interagieren. Diese benutzerfreundliche Lösung erleichtert den Zugang zu leistungsstarken KI-Technologien und ermöglicht es auch weniger erfahrenen Anwendern, die Vorteile dieser Modelle zu nutzen, ohne sich mit der Installation und Verwaltung einzelner Anwendungen auseinandersetzen zu müssen. Ein besonderes Merkmal von Poe.com ist die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit unterschiedlicher KI-Modelle direkt miteinander zu vergleichen.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, denn die Entwicklung schreitet rasant voran. Immer neue Sprachmodelle mit immer beeindruckenderen Fähigkeiten erobern den Markt. Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Denn so faszinierend die Möglichkeiten von Sprachmodellen sind, so drängend sind auch die damit verbundenen Herausforderungen und Risiken.

Licht und Schatten im Reich der KI-Sprachmodelle

So beeindruckend die Fähigkeiten von Sprachmodellen sind, so sehr werfen sie ethische Fragen auf. Da ist zum einen das Thema Datenschutz: Auf welchen Daten wurden die Modelle trainiert und wie wird sichergestellt, dass keine persönlichen Informationen nach außen dringen? Zum anderen geht es um Verzerrungen und Vorurteile, die sich aus den Trainingsdaten in die Modelle einschleichen können.

Ein Beispiel: Wenn ein Sprachmodell hauptsächlich auf Texten aus westlichen Ländern trainiert wurde, kann es sein, dass es bestimmte kulturelle Kontexte nicht versteht oder Minderheiten stereotyp darstellt.

Ein zentrales Problem ist das Phänomen der "Halluzinationen" - Fehler und Verzerrungen in den generierten Inhalten. Sprachmodelle sind nicht allwissend, sondern nur so gut wie ihre Trainingsdaten. Wenn sie mit Anfragen konfrontiert werden, die über ihr Wissen hinausgehen, neigen sie dazu, "Fakten" zu erfinden. Das kann von harmlosen Ungenauigkeiten bis hin zur Verbreitung von Falschinformationen reichen.

Auch Fragen der Fairness und Verzerrung sind zu berücksichtigen. Sprachmodelle lernen aus den Daten, mit denen sie trainiert werden. Wenn diese Daten einseitig oder wirklich diskriminierend sind, kann sich das in den Ausgaben des Modells widerspiegeln. Stereotype und Vorurteile können so unbeabsichtigt verstärkt werden. Um dem entgegenzuwirken, sind sorgfältig kuratierte Datensätze und Methoden zur Erkennung und Reduzierung von Bias erforderlich.

Ein weiteres Risiko ist der potenzielle Missbrauch von Sprachmodellen. In den falschen Händen könnten sie zur Erstellung täuschend echter Fake News, Phishing-Mails oder Propagandatexte verwendet werden. Auch Cyberkriminelle zeigen zunehmendes Interesse an der Technologie. Es braucht robuste Sicherheitsmechanismen und klare Richtlinien, um einen verantwortungsvollen Einsatz zu gewährleisten.

Transparenz, ethische Richtlinien und Überprüfung

Es liegt also an den Entwicklern und der Gesellschaft als Ganzes, einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser mächtigen Technologie zu finden. Dafür braucht es Transparenz, klare ethische Richtlinien und eine kontinuierliche Überprüfung der Systeme. Nur so können wir sicherstellen, dass Sprachmodelle zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden.

Trotz dieser Herausforderungen ist klar: Sprachmodelle bieten ein enormes Potenzial, unsere Art zu kommunizieren und mit Computern zu interagieren, nachhaltig zu verändern. Sie sind mehr als nur eine technische Spielerei - sie sind eine Schlüsseltechnologie, die unsere Gesellschaft und die Wirtschaft in den kommenden Jahren prägen wird. KI ist kein neues Hype-Thema, es ist ein Paradigmenwechsel in sehr vielen verschiedenen Branchen zur gleichen Zeit.

Schon heute sehen wir, wie Sprachmodelle in immer mehr Bereiche unseres Lebens vordringen. Virtuelle Assistenten wie Siri oder Alexa nutzen Sprachmodelle, um unsere Anfragen zu verstehen und passende Antworten zu geben. Chatbots revolutionieren den Kundenservice und sind oft kaum noch von menschlichen Mitarbeitern zu unterscheiden. Und auch in der Arbeitswelt halten Sprachmodelle Einzug - sei es als intelligente Schreibhilfen, Übersetzungstools oder sogar als Unterstützung bei der Programmierung.

Doch das ist nur der Anfang. Experten sind sich einig, dass das wahre Potenzial von Sprachmodellen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Mit immer leistungsfähigeren Systemen und neuen Anwendungsszenarien stehen uns in den kommenden Jahren tiefgreifende Veränderungen bevor.

So könnten Sprachmodelle etwa die Grundlage für wirklich intelligente Tutorsysteme bilden, die individuell auf die Bedürfnisse und Lernfortschritte von Schülern und Studenten eingehen. In der Medizin könnten sie helfen, riesige Mengen an Studien und Patientendaten zu analysieren, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und Diagnosen zu verbessern. Und auch in der Forschung eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, wenn Sprachmodelle bei der Analyse komplexer Textdaten unterstützen, oder Materialforschung in einem Bruchteil der bisherigen Zeit durchführen.

Eines ist sicher: Die stille Revolution der Sprachmodelle hat gerade erst begonnen. Je besser wir verstehen, wie diese faszinierende Technologie funktioniert und welche Möglichkeiten sie bietet, desto besser können wir sie zum Wohle der Menschheit einsetzen.

Es liegt an uns allen, diesen Wandel aktiv mitzugestalten. Dafür braucht es einen offenen und informierten Diskurs, der technische Aspekte ebenso berücksichtigt wie ethische und gesellschaftliche Fragen. Nur wenn wir die Entwicklung von Sprachmodellen transparent und verantwortungsvoll gestalten, können wir ihr volles Potenzial ausschöpfen - und gleichzeitig die Risiken minimieren.

Über KI-Experte und Publizist Oliver Welling:

Foto: Oliver Welling, privat
Oliver Welling hat digitale DNA im Blut: Heute 56, hatte Oliver bereits mit 14 den ersten PC. Den ersten Chatbot hat Oliver schon 1987 mit "ELIZA" kennengelernt. Die Faszination für IT und digitale Wirtschaft mündete in der Gründung der Digital-Agentur "Spot-Media", die Oliver als Vorstandsvorsitzender führte und 2008 verkaufte. Seitdem hat er strategische Unternehmensberatung im deutschen Mittelstand durchgeführt. 


Als Kurator des "Reeperbahnfestivals" konnte er das Thema Künstliche Intelligenz nicht nur in Hamburg weiter vorantreiben. Als Gründer der KINEWS24.de berichtet er täglich über aktuelle News und die besten Tools auf dem Markt. Heute berät er mittelständische Unternehmen beim Einsatz von KI zur Steigerung von Effizienz, hält Vorträge über das Thema und hilft Unternehmen die eigene KI-Strategie zu entwickeln.

 Hanse Digital Background: 

Gastbeitrag Oliver Welling:
"Prompt Engineering - Mit besseren Prompts zu viel besseren Ergebnissen"
hansevalley.de/2024/02/hansemachine-gastbeitrag-olliverwelling.html


 Hanse Digital Service: 

HANSEMACHINE - Das Hanse KI Magazin:

Oliver Welling bei LinkedIn: 
linkedin.com/in/oliver-welling-58529653/

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