Mittwoch, 30. Juni 2021

HANSEPOLITICS: Bremen und Hamburg diskutieren Gutachten zur Digitalisierung von Anträgen.

HANSE DIGITAL POLITICS
Bremen und Hamburg treiben die Digitalisierung der Verwaltung voran.
Foto: Normenkontrollrat

In einer digitalen Diskussion in der Berliner Landesvertretung der Freien und Hansestadt Hamburg haben Bremens Jugend- und Sozialstaatsrat Jan Fries und Finanzstaatsrat Martin Hagen mit Vertretern des Normenkontrollrats, der Ruhr-Universität Bochum und der Technologie-Beratung "MSG Systems" Chancen und Herausforderungen für eine künftige, einheitliche Definition von Einkommen in digitalen Anträgen diskutiert. Chefredakteur Thomas Keup hat das Event verfolgt:
Auf Einladung des Hamburger CDO's Christian Pfromm als Vorsitzendem des IT-Planungsrates von Bund und Ländern wurde ein 130-seitiges Gutachten der Ruhr-Universität Bochum und der Unternehmensberatung "MSG Systems" im Auftrag des Normenkontrollrats vorgestellt. Darin werden insgesamt sechs Arten von Einkommen beleuchtet, um in Zukunft in möglichst vielen der bundesweit rd. 60.000 Fachverfahren bestehende Daten zu Einkommen mehrfach nutzen zu können.
Im Fokus einer künftig digitalen, einfachen Nutzung bestehender Einkommensarten stehen u. a. zu versteuernde wie soziale Bezüge, damit verbundene Freibeträge, gegenzurechnende Aufwendungen für den Beruf und im Privaten, wie z. B. Vorsorgebeiträge. Aktuell definieren alle Ämter für die Gewährung von staatlichen Leistungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene Einkommen aus Gehältern und Sozialleistungen unterschiedlich.
In Zukunft sollen Angaben zu verschiedenen Einkommensformen einheitlich definiert und einmal erhobene Daten modular wie in einem "Lego"-Baukasten digital wiederverwendet werden können. Daten aus den einheitlich definierten Bausteinen sollen dann aus verschiedenen Registern mehrfach für Anträge und ihre Bewilligung genutzt werden können. Um dies zu erreichen, sind unter anderem ein gemeinsames Dictionary für Erklärungen zu den Bausteinen und passende Repositorys für die Datenhaltung notwendig.
Laut Werner Achtert von der Technologieberatung "MSG Systems" ist die Wiederverwendung von bestehenden Elementen in der IT seit Jahrzehnten gang und gäbe. Um zu einheitlichen Begriffen zu kommen sei das Zusammenspiel von Verwaltungen und ihren Rechtsbegriffen sowie IT-Dienstleistern und der Computersprache notwendig. Bestehende Silos sollen - so Staatsrat Jan Fries - vor allem durch offene Kommunikation und Veröffentlichung von Zwischenerfolgen überwunden werden. 
Zugleich sollen Systeme offen gehalten werden, um individuelle Anpassungen auf Landes- oder Kommunalebene zu ermöglichen. Positive Beispiele seien u. a. die digitalen Verfahren für das Kindergeld der beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie für das Unterhaltsgeld der Freien (und) Hansestädte zusammen mit NRW.
Bislang werden Digitalisierungsmaßnahmen - so die Diskussionsteilnehmer - linear nacheinander abgearbeitet. Der Grüne Politiker Jan Fries unterstrich dazu: "Eine halbherzig gemachte Digitalisierung schafft Frust auf allen Ebenen." Unter dem Strich müsse man weg vom einseitigen Blick auf die eigene bzw. fremde Verantwortung. Fries weiter: "Jeder ist für die Reformagenda verantwortlich."
In Zukunft sollen Gesetze von Anfang an auf die Nutzung in digitalen Antragsverfahren hin geprüft werden. Dabei sollen die rechtlichen Grundlagen inkl. der Auslegung mit den Grundsätzen der Computersprache von "Ja", "Nein" und "Wenn, dann" abgeglichen werden. Der bisherige Versuch, alles in einen Rahmen zu pressen, sei gescheitert, so Jan Fries.
Eine gemeinsame Koordinierungsstelle von Bund und Ländern soll die Entwicklung einheitlicher Einkommensbegriffe übernehmen. Dies kann z. B. bei der Förderalen IT-Kommission (FITKO), beim IT-Planungsrat oder beim Bund angesiedelt werden. Im kommenden Jahr erwarten die Digitalisierungsexperten aus Bremen eine intensive Diskussion in den Fachministerkonferenzen der Länder mit dem Bund sowie Beratungen auf Ebene der Bundesregierung und des Bundesrats. Die Umsetzung wird über die neue Legislaturperiode - und damit über das Jahr 2025 - hinausdauern.
Im Rahmen der Diskussion wurde auch das Thema Datenschutz angesprochen: 
Die beiden Bremer Staatsräte verwiesen darauf, dass bei Bürgern bis heute nicht bekannt sei, welche Behörde welche Daten abfragen und nutzen. Landrätin Dorothea Störr-Ritter betonte als Mitglied des Nationalen Normenkontrollrats, dass der Datenschutz bis heute immer wieder als "Show-Stopper" missbraucht werde. Aus ihrer Erfahrung sei der Datenschutz ein immer wieder vorgeschobenes Instrument - zuletzt, um das Registermodernisierungsgesetz zu verhindern. Als Lösung des Themas wird u. a. ein Datenschutz-Cockpit nach Einführung des Modernisierungsgesetzes diskutiert.
Bremens Jugendstaatsrat Jan Fries verwies auf den heutigen Frust vieler Bürger, auf Grund komplexer und widersprüchlicher Abfragen frühzeitig aufzugeben, berechtigte Anträge zu stellen. Finanzstaatsrat Martin Hagen machte in Berlin klar: "Alle erwarten, wie mit einer Netflix-App oder Google Maps zu arbeiten. Aber wir liefern Formulare. Am Ende geht es darum, das es die Bürgerinnen und Bürger einfach haben - und unsere Kollegen nicht alles abtippen müssen."
Eine ausführliche Meldung zum Thema und der Link zum vollständigen Gutachten ist auf der Seite des Normenkontrollrats zu finden. (Foto: NKR)

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