Mittwoch, 26. August 2020

HANSEPERSONALITY Henning Fehrmann: Empowerment statt Mikromanagement für Hamburg.

HANSE DIGITAL INTERVIEW

Technologie-Unternehmer und Mittelstands-Vertreter: Henning Fehrmann.
Foto: Die Familienunternehmer e. V.

91.000 Menschen waren im Juli in Hamburg ohne Arbeit, 8,5% aller Beschäftigten, der höchste Stand seit 15 Jahren. Mit der Corona-Krise sind 368.000 Menschen in 24.000 Betrieben in Kurzarbeit geraten, mehr als 1/3 aller versicherungspflichtig Beschäftigten. Die Krise schlägt durch: Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen sind schwer getroffen, der Hafenumschlag ist um 12% eingebrochen.

Hamburg ist Kaufmannsstadt und Warendrehscheibe. Doch Handel und Hafen haben sich bis heute nicht digitalisiert. Corona wird zum Brennglas - und zum Brandbeschleuniger des Umbruchs. Was muss jetzt getan werden, um Hamburg aus dem Schlick zu ziehen? Wie kann die stolze Elbmetropole nach Corona und Krise wieder auf Kurs kommen? Unser HANSEPERSONALITY ist Familienunternehmer Henning Fehrmann:

Zu Ihrem Unternehmen Fehrmann Technologies gehören die Geschäftsbereiche "Alloys" mit Metallguss-Legierungen einschließlich 3D-Druck sowie "Windows" mit der Kernkompetenz für Schiffsfenster. Sie halten vier Patente, beschäftigen gut 40 Mitarbeiter, darunter 5 Doktoren und investieren im Jahr rd. 20% in Forschung und Entwicklung. Wo hat Sie der Shutdown getroffen und wie haben Sie die vergangenen Krisenwochen durchlebt?

In unserer Arbeitsweise hat uns der Shutdown nicht getroffen, weil unsere Infrastruktur bereits digital war. Homeoffice, Videokonferenzen etc. gehören bei uns seit Jahren zum Alltag. Deshalb waren wir frei, die Corona-Zeit zu nutzen, um Zukunftstechnologien wie Materialentwicklung für den 3D-Druck, Künstliche Intelligenz und Augmented Reality zu pushen und weitere Mitarbeiter einzustellen.

Unsere Geschäftsbereiche "Alloys" (Gussteile und 3D-Druck-Metallpulver) und "Windows" (Schiffs- und Spezialfenster) wurden unterschiedlich vom Shutdown tangiert. Bei der "Alloys" machte er sich kaum bemerkbar; die Auftragslage war und blieb gut, auch weil wir vorrangig für staatliche Endkunden mit lange laufenden Verträgen produzieren.


"Durch Corona haben wir einen Sprung nach vorn gemacht."

Einzig im 3D-Druck-Geschäft sorgte der Shutdown in den meisten F&E-Projekten für mehrmonatige Verzögerungen, doch hat diese Fertigungstechnologie durch die Corona-Krise enorm an Aufmerksamkeit gewonnen. In der Industrie wächst das Bewusstsein dafür, dass 3D-Druck resilient, flexibel und autark macht und zudem die Ressourcen schont und einen geringen CO2-Footprint hat. Dementsprechend steigt die Nachfrage nach Hochleistungs-Metallpulvern, also der „Tinte“ für den 3D-Druck.


Bei den "Windows" haben wir ein V-Szenario erlebt: Einer unserer Lieferanten hatte einen kompletten Lockdown, was zur Störung der Lieferkette führte. Doch jetzt geht wieder die Post ab.

Sie sind seit Jahresbeginn Vorsitzender der Familienunternehmer e. V. in Hamburg, einer Stadt, die in der Krise steckt: Die Mehrheit der Logistikbranche ist laut BVL-Studie in der digitalen Umsetzungsfalle. Einzelhändler rund um die Mö melden bis zu 40% Einbrüche, der Umschlag im Hafen ist um 12% eingebrochen. Wie schlimm hat es die Hamburger Wirtschaft wirklich getroffen? Und in welchen Branchen müssen wir nach Ende des Insolvenzschutzes im 4. Quartal mit Konkursen rechnen?

Die Hamburger Wirtschaft ist insofern nicht schlecht aufgestellt, als dass sie keine Monokultur ist, die von einer einzigen Branche wie z.B. der ohnehin kriselnden Automobilindustrie abhängt. In unserer Stadt verfügen wir über eine große Bandbreite von Wirtschaftszweigen, entsprechend divers ist das Bild der Corona-Auswirkungen. Einige Bereiche wie Gastronomie, Hotellerie, Eventveranstalter und Entertainment wurden von dem staatlich verordneten Berufsverbot schwer getroffen, und es ist absehbar, dass nicht alle Unternehmen die Krise überleben werden. 

"Bei Branchen unter hohem Druck ist es egal, ob Corona oder nicht."

Andere Branchen gingen stabil durch die schwierige Phase, weil sie systemrelevant waren oder über die Möglichkeit verfügten, ihr Angebot an die veränderten Bedingungen anzupassen. Allerdings hat Corona den Druck auf alle Branchen weiter verstärkt, sich zu digitalisieren. Und ehemals starke Wirtschaftszweige wie die Luftfahrt stehen vor großen Herausforderungen, denn sie können für lange Zeit auf keinen Boom mehr hoffen.

Unser Erster Bürgermeister konnte Ihre Frage beim Neujahrsempfang der Familienunternehmer nicht nachvollziehen, 50% des Haushaltsüberschusses 2019 (500 Mio. €) in Digitalisierung zu investieren. In unseren Wahlprüfsteinen und in der Analyse des Koalitionsvertrags sind wir zu dem Ergebnis gekommen: Rot-Grün kann nicht digital. Wenn alles digitalisiert wird, was wird dann aus Hamburg in Zeiten des Umbruchs?

Im besten Fall wird dann aus Hamburg eine Stadt mit einem Verständnis für Kybernetik, also für die Informationsverarbeitung in dynamischen Systemen, deren Regelung und Steuerung. Denn eben dies ist die Basis für ein erfolgreiches Management von Komplexität. 

"Alles, was nicht digitalisiert ist, wird unter Druck geraten."

Politiker wie Unternehmenslenker werden lernen müssen, die durch Digitalisierung zugänglichen Informationen besser zu nutzen, Transparenz zu schaffen und statt Mikromanagement Empowerment zu betreiben. Dazu bedarf es unternehmerischer Qualitäten, die sich gerne auch Politiker zu eigen machen dürfen. Ich denke hierbei an Mut, Entscheidungsfähigkeit und Umsetzungsstärke.

Hamburgs Visionär Klaus von Dohnanyi stellt in seiner ersten Bürgermeisterrede im Übersee-Club 1983 fest: 'Die Zukunft Hamburgs liegt an Land, und nicht am Wasser'. Der niederländische Visionär Hendrik "Ed" Brinksma verlässt nach nur 2,5 Jahren die TU in Harburg. Aus allen staatlichen Hamburger Hochschulen kommen weniger Ausgründungen (2018: 14), als aus der Leuphana in Lüneburg allein (2018: 59). Sie sagen, Hamburg braucht eine Vision. Woher soll diese kommen?

Hamburg steigt im deutschen und europäischen Vergleich ab, weil die Vision fehlt. Deshalb ist es dringend erforderlich, der Stadt eine Vision zu geben. Und dann gilt es, dass sich Wirtschaft, Politik und Gesellschaft dazu committen und alles dafür tun, sie umzusetzen. Der Verband der Hamburger Familienunternehmer hat für Hamburg bereits etwas formuliert. Wir nennen unsere Vision „Große Freiheit 5.0“. Sie nutzt die Stärken der Stadt, setzt auf Ermöglichen statt Behindern und führt sie ins digitale Zeitalter. 


"Nur mit Visionen haben wir eine Chance auf einen Aufbruch."

Machen wir uns einmal die Stärken Hamburgs bewusst: Hierzu gehört die Logistik, bei der wir darauf achten müssen, nicht den Anschluss zu verlieren. Unsere Metropolregion ist eine der weltweit führenden Regionen für 3D-Metalldruck. Zudem haben wir exzellente Cluster wie Material Science mit dem Leuchtturm DESY und dem Zentrum für Hochleistungsmaterialien - das setzt international Maßstäbe. 

Mit Philips, Olympus und etlichen anderen starken Unternehmen verfügt Hamburg über ein starkes Healthcare-Cluster. Und mit der nach wie vor guten Gaming-Szene ließe sich Hamburg als internationaler AR-/VR-/XR-Hotspot ausbauen. Dies sind nur einige der Hamburger Potenziale, die es besser zu nutzen gilt, damit die Stadt in Zukunft wieder an Strahlkraft gewinnt.

Schauen wir ein Stück in Ihre eigene Zukunft: Sie sagen, 'alles wird digitalisiert'. Sie haben mit Achim Tappe einen der führenden Datenspezialisten an Alster und Elbe als CDO an Bord geholt. Als forschendes Unternehmen beschäftigen Sie sich u. a. mit Augmented Reality in Schiffsfenstern. Wie werden Data Science und Software Ihr traditionelles Geschäft mit Bullaugen digitalisieren, die Ihr Großvater genormt hat?

Derzeit entwickeln wir etwas, das weltweiten Pionier-Charakter hat: Augmented Reality-Schiffsfenster, die wir zur SMM, der Weltleitmesse der maritimen Wirtschaft, im Februar 2021 vorstellen werden. Die Fenster bestehen aus beweglichen Head-up-Displays für mehrere User gleichzeitig, die den Augen folgen und den visualisierten Content situativ an das anpassen, was man durch das jeweilige Fenster gerade sieht. 

"Wer spart, will bewahren. Wer investiert, will etwas verändern."


Ihr großer Mehrwert: Alle relevanten Infos werden dort eingeblendet, wo man gerade hinschaut. Man hat also die Realität im Blick und erhält ergänzend digitale Informationen. Diese Fenstersysteme sind hochkomplex und nutzen bestehende wie auch von uns selbst entwickelte Technologien, um der Geschwindigkeit der Augen gerecht zu werden. Sobald sich unsere digitalen Fenster in Schiffen bewährt haben, beschäftigen wir uns damit, sie für andere Branchen nutzbar zu machen.

Zu guter Letzt unsere traditionelle Hamburg-Frage: Wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, eine Vision für Hamburg zu entwickeln, Helmut Schmidts "schlafende Schöne" nach 2 Jahrzehnten Abwärtstrend (siehe CHE-Studie) auf Zukunftskurs zu bringen. Wie kann eine "Große Freiheit 5.0" für die Kaufmanns- und Hafenstadt an der Elbe aussehen? Was muss sich in Wissenschaft, Verwaltung und bei Hamburger Unternehmern ändern? Butter bei die Fische!

Beginnen wir mit der Hamburger Verwaltung: Sie muss vom Behinderer zum Ermöglicher werden. Wenn sie dereguliert und Gesetze und Verordnungen so gestaltet, dass sie Unternehmertum und Gestaltung ermöglicht, um Arbeitsplätze zu schaffen, hat sie ihre vordringlichste Aufgabe erledigt. Und – besonders vorteilhaft in Zeiten leerer Kassen – es kostet die Stadt keinen Cent. Allerdings ist die öffentliche Hand finanziell gefordert, übergreifende neue Technologien über die Wissenschaft zu etablieren. Dies können von Corona geschüttelte Unternehmen nicht leisten.

"Es braucht Personen, die Veränderungen wollen und umsetzen."

Was die Unternehmen hingegen leisten können und müssen, ist die Analyse ihrer Daten. Denn – das sollten wir uns bewusst machen – jedes Business ist datengetrieben. Die Daten gab es schon immer – doch dank digitaler Speicher- und Verarbeitungsmedien verfügen wir jetzt über Tools, um unsere Informationen über Kunden, Märkte, Wettbewerber, Produkte und Prozesse zu sammeln und auszuwerten. Data Science hilft uns, bessere Entscheidungen zu treffen, Kosten zu senken und unsere Effizienz zu steigern. Bei Fehrmann digitalisieren wir auf allen Ebenen: Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle. Für Unternehmen, die langfristig am Markt bestehen wollen, führt kein Weg daran vorbei.

Ganz nebenbei hat die Digitalisierung der Wirtschaft Auswirkungen, an die man zunächst nicht zwingend denkt. Arbeiten beispielsweise mehr Mitarbeiter im Homeoffice, reduziert sich der Platzbedarf und damit die Miete. Entgegen der spektakulären Stories digitaler Unternehmen führt Digitalisierung in den meisten Unternehmen erst einmal zu deutlich sinkenden Kosten. Ein Grund mehr, schnellstens damit zu beginnen.


Herzlichen Dank für die offenen Worte!
Das Interview führte Thomas Keup.

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 Hanse Digital Statements: 

Corona und Hamburg:
HANSESTATEMENT: Nach Kahrs und Corona: Hamburgs Vertreibung aus dem Paradies.
hansevalley.de/2020/05/hansestatement-hamburg-after-corona.html


Digitalisierung und Senat:
HANSESTATEMENT: 205 Seiten Hamburg analog: Oder warum Rot-Grün digital nicht kann.

hansevalley.de/2020/06/hansestatement-koalitionsvertrag-hamburg-2020-2025.html

Digitalisierung und Senat:
HANSEPOLITICS: Wie Rot-Grün Hamburg in die digitale Zukunft bringen will.
hv.hansevalley.de/2020/06/hansepolitics-koalitionsvertrag-hamburg-2020.html

Digitalisieirung und Verwaltung:
HANSESTATEMENT: Rot-Grün: Digitalstrategie? Echt jetzt?

Digitalisierung und Wirtschaft:
HANSESTATEMENT: Die Digitalisierung wartet nicht auf Hamburg.

 Hanse Digital Background: 

Akademie der Wissenschaften: CHE-Vergleichsanalyse Metropolregion Hamburg:

OECD-Bericht zur Regionalentwicklung: Metropolregion Hamburg

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