Sonntag, 13. Mai 2018

HANSEPERSONALITY Prof. Dr. Tilo Böhmann: Digitalisierung ist richtig umparken im Kopf.

HAMBURG DIGITAL INTERVIEW

Informatik und Wirtschaftsinformatik, Data Science und Mensch-Maschine-Interaktion: 2.400 Studierende werden aktuell an der Universität Hamburg zu Tech-Profis ausgebildet. Jährlich kommen 400 Erstsemester hinzu. Mit 5 Bachelor-, 5 Master- und Lehramtsstudiengängen ist der Fachbereich Informatik der Universität Hamburg die größte Ausbildungsstätte für den Tech-Nachwuchs an Alster und Elbe. 


Vorreiter mit Hamburgs Informatikplattform "ahoi.digital": Tilo Böhmann
Foto: Universität Hamburg

"Wir leisten gute Arbeit, aber keiner redet darüber", sagt Prof. Dr. Tilo Böhmann. Der stv. Leiter des Fachbereichs, Leiter des Arbeitsbereichs IT-Management und Mit-Initiator der Informatikplattform "Ahoi Digital" spricht aus, was dem interessierten Beobachter auffällt. Mit Besuch von Olaf Scholz auf dem Campus in Stellingen hat sich seit 2014 der "Schlafende IT-Riese" auf den Weg gemacht. Unser HANSEPERSONALITY ist Prof. Dr. Tilo Böhmann:

Die Universität Hamburg ist der größte Informatik-Ausbilder rund um die Alster. Aber: Gute Lehre gibt es sicher an zahlreichen Hamburger Hochschulen. Gehen wir ans Eingemachte: Welche außergewöhnlichen Forschungsschwerpunkte setzen Sie auf dem Campus in Stellingen? Und warum?

Im Fachbereich Informatik der Universität Hamburg bieten wir die volle Breite der Informatik, was Studierenden umfassende Wahlmöglichkeiten für ihre individuellen Schwerpunkte gibt. Für uns als Fachbereich gilt: wir sind begeistert von den technischen Möglichkeiten der Informatik, gestalten aber menschenzentriert und mit der gesellschaftlichen Verantwortung klar im Blick. Aktive Partner aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung bieten Studierenden und Forschenden tolle Möglichkeiten, gemeinsam an digitaler Innovation und Transformation zu arbeiten.


Kognitive Systeme mit Neurowissenschaften und Psychologie


Bei aller Breite in der Ausbildung haben die Forscherinnen und Forscher in der Informatik der Universität klare gemeinsame Forschungsschwerpunkte. Seit vielen Jahren geht es bei uns um das hoch aktuelle Thema der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens. In diesem Bereich, den wir “Kognitive Systeme” nennen, arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus der Informatik eng mit den Neurowissenschaften und der Psychologie zusammen, um Lernprozesse im Menschen besser zu verstehen und daraus bessere lernende Systeme in der Informatik zu gestalten.

Lösungen für Datensouveränität, wenn Daten das neue Öl sind

Ein zweiter Schwerpunkt ist “Information Governance Technologies”. Hier geht es um technische Lösungen für Datensouveränität - eine zentrale Zukunftsherausforderung, wenn Daten das neue Öl sind und immer mehr IT in die Cloud geht. Auch hier arbeiten wir Interdisziplinär, z.B. unter engem Einbezug ethischer und juristischer Kompetenz an zukunftsweisenden Lösungen. Als Drittes entwickeln wir zusammen mit anderen Disziplinen an der Universität und Hochschulen die Kompetenz im Bereich “Data Science” als neues Querschnittsfeld, das sowohl in Wissenschaft als auch Wirtschaft große Bedeutung hat.

In Forschung und Lehre profitieren wir von den Möglichkeiten einer Volluniversität, so dass wir auf vielen Gebieten interdisziplinär forschen können. Genauso wichtig ist aber auch die Zusammenarbeit mit den Informatik-Partnern von ahoi.digital. Gemeinsam arbeiten wir, gerne auch zusammen mit unseren aktiven Partnern aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung, an Lösungen für die Zukunft.

Der Hamburger Senat spricht gern übe die im Februar 2017 angekündigte Informatikplattform "Ahoi Digital". Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen bis zu 35 neue Informatik-Professuren an Hafencity Universsität, HAW Hamburg, Uni Hamburg und TU Harburg sowie bis zu 1.500 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Wie kann das dem IT-Standort Hamburg nützen?

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats und auch unsere Analysen aus dem Initiatorenkreis von ahoi.digital zeigen klar: dem IT- und Digitalstandort Hamburg fehlen Köpfe in den Hochschulen. In Berlin und München sind das bislang fast doppelt so viele Professuren. Daher sind wir äußerst froh, dass wir durch den deutlichen Zuwachs an Professuren mehr Studierende ausbilden können und mit erheblich mehr Rückenwind Forschungsschwerpunkte ausbauen können. 

"Dem IT- und Digitalstandort Hamburg fehlen Köpfe in den Hochschulen"

Wir wollen hart daran arbeiten, dass mehr Menschen Kompetenzen in Informatik als neuer Schlüsseldisziplin erwerben können. Wenn die Köpfe fehlen, bleiben Chancen ungenutzt oder Lösungen hinter ihren Möglichkeiten zurück. Man kann heute nicht die Lösungen für Morgen mit der Informatik von Gestern gestalten. Daher müssen aus meiner Sicht mehr Informatikerinnen und Informatiker in Hamburg her. 

Alt-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hat erstmals in seiner Übersee-Club-Rede 1983 auf den Punkt gebracht: Die Zukunft Hamburgs liegt auf dem Land - und nicht im Wasser. Sind die Aktivitäten des Hamburger Senats mit Begutachtung durch den Wissenschaftsrat 2015, der Einführung eines MINT-Forschungsrats 2016 und "Ahoi Digital" im Jahr 2017 nicht viel zu spät - und viel zu langsam?

Ich persönlich erlebe eine richtige Aufbruchsstimmung in der Wissenschaft in Hamburg und auch gerade im Thema der Digitalisierung. Den Zeitpunkt der Entwicklung mögen andere beurteilen, entscheidend ist aus meiner Sicht, dass etwas passiert. Und so arbeiten wir mit Hochdruck an der Umsetzung von ahoi.digital. 

"Universität nicht als verlängerte Werkbank der Wirtschaft nützlich"

Ich nehme auch wahr, dass gerade Wissenschaft und Stadt ihre wechselseitigen Einschätzungen ändern. Als ich 2010 an die Universität Hamburg berufen wurde, begegnete mir manchmal die Erwartung aus Politik und Wirtschaft, die Universität solle sich als eine Art verlängerte Werkbank der Wirtschaft nützlich machen. Eine solche Erwartung wird aus meiner Sicht der Wissenschaft und ihrer eigenständigen Kraft im Erkenntnis- und Innovationsprozess überhaupt nicht gerecht. 

Heute gibt es sehr erfolgreiche Beispiele der Co-Innovation, wo mit vereinten Kräften Lösungen für die Zukunft erdacht und erprobt werden. Diese Begegnung auf Augenhöhe erlebe ich beispielsweise konkret in unserem Netzwerk IT-Management und -Consulting, wo wir gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Verwaltung danach fragen, wie Wege der digitalen Transformation gelingen können, damit Arbeit und Wertschöpfung aus Hamburg erfolgreich in die digitale Zukunft geführt werden können. 

Die Landesfachkomission Internet & Digitale Wirtschaft des Hamburger Wirtschaftsrats fordert einen echten Leuchturm für die Digitalwirtschaft an Alster und Elbe, statt "Klein-klein". Was halten Sie von der Idee einer eigenständigen "Digital Society University" - mit internationaler Strahlkraft, um Hamburg aus dem "Technologie-Tiefschlaf" herauszuholen?

Der Weg von ahoi.digital, die vorhandenen Stärken in Kooperation massiv auszubauen, ist aus meiner Sicht Erfolg versprechend und schon ein solcher Leuchtturm. Neue Wissenschaftsinstitutionen brauchen eine lange Zeit, bis sie wirklich voll funktionsfähig sind. Auch gilt aus meiner Sicht: die Bedeutung von Digitalisierung, Data Science und Informatik ist in meiner persönlichen Einschätzung an allen staatlichen Hamburger Hochschulen klar erkannt. Deshalb kommt ahoi.digital gerade recht, um diesen Rückenwind aufzugreifen und in Aktion umzusetzen. 

"Weitere Anstrengungen im Bereich Co-Innovation und Technologietransfer erforderlich"

Allerdings darf man meiner Meinung nach auch jetzt nicht nachlassen oder sich ausruhen. Weitere Anstrengungen sind - und das sagt auch das ahoi.digital-Konzept - im Bereich der Co-Innovation und des Technologietransfers erforderlich. Hier kann man noch besser werden, um die Forscherinnen und Forscher der Hochschulen mit den Innovatoren in Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft zu verzahnen. Wir haben dafür gute Voraussetzungen, können aber hier noch bessere Brücken bauen, damit die erforderliche Informatik-Kompetenz auch in allen relevanten Bereichen ankommt. Dafür braucht es auch attraktive Orte, an denen diese Co-Innovation besonders leicht entstehen kann. 

Sie sind Gründungsmitglied der "Interface Society - This!" von BWVI- und HPA-Chief Digital Officer Dr. Sebastian Saxe. Was macht aus Ihrer Sicht die Hamburger Perspektive für Digitalisierungsthemen aus - insbesondere auf Grund des besonderen Wirtschaftsprofils unserer Stadt? Wo sehen Sie die Tech-Zukunft Hamburgs?

Zunächst freue ich mich sehr, dass Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft sich mit uns gemeinsam auf den Weg machen, um Impulse für die Digitalisierung aus Hamburg zu geben. Die "Interface Society" drückt schon im Namen aus, dass in der Digitalisierung Neues an sich neu formenden Schnittstellen zwischen bislang unverbundenen Bereichen entsteht. Ich persönlich glaube, dass Hamburg eine besondere Chance im Bereich einer menschenzentrierten Digitalisierung hat. 

"Schnittstelle zu Menschen eine Herausforderung für Produkte und Dienstleistungen"

Wir haben mit Medien und Kultur starke Bereiche in der Stadt, bei denen menschliches Erleben und schöpferische Interaktion im Mittelpunkt stehen. Diese menschenzentrierte Perspektive strahlt aus, nicht zuletzt, weil wir gewohnt sind, unsere digitalen Alltagsinteraktionen als einfach und gebrauchstauglich, vielleicht sogar als inspirierend und kreativ zu erleben. Diese Erwartung tragen wir zunehmend in alle Lebensbereiche hinein und damit wird die Schnittstelle zu uns Menschen eine Herausforderung für viele Produkte und Dienstleistungen, z. B. bei neuen Wegen in der Mobilität, Luftfahrt, im Handel oder in der Gesundheitswirtschaft. 

Will man diesen Weg beschreiten, braucht es aber gleichzeitig ein neues Verständnis für verantwortliches Handeln in der Digitalisierung. Ein einfaches laissez-faire wird der großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Digitalisierung aus meiner Sicht nicht mehr gerecht. Eine Verständigung dazu will die Interface Society fördern.

Von Deutschlands neuer Digitalstaatssekretärin Dorothee Bär über Hamburgs bürgerlicher Opposition bis zu den Organisatoren der Hamburger Hacker School steht die Forderung im Raum, Informatik als Pflichtfach einzuführen? Was halten Sie davon - und was bringt es z. B. kreativen Schülern, einen Rasberry Pi zu programmieren?

Ich persönlich stütze die Forderung nach einem Pflichtfach Informatik nachdrücklich. Für mich ist aber das Motiv dafür nicht etwa die Idee, alle Schülerinnen und Schüler zu Programmierern zu machen. Vielmehr geht es aus meiner Sicht darum, dass alle Kinder und Jugendlichen einmal die Rolle der Nutzerin oder des Nutzers von Informationstechnologie verlassen. 

"Technologien drücken menschliche Möglichkeiten zur Gestaltung aus"

Es gilt, die Black-Box der Technologie öffnen und zu sehen, dass diese Technologien von Menschen gestaltbar sind und wie diese gestaltet werden können. Dazu gehört sicher auch die konkrete Programmiererfahrung. Um es sehr frei nach Kant zu sagen: Es geht um dem Ausgang des Menschen aus einer – zumindest in Teilen – selbstverschuldeten Technologieunmündigkeit. Für mich ist Informatik im Zeitalter der Digitalisierung ein zutiefst aufklärerisches Fach und gehört unbedingt in den Kanon der Allgemeinbildung.

Zu guter Letzt unsere Hamburg-Frage: Schauen wir zusammen über Wissenschaft, Forschung und Lehre hinaus in Wirtschaft, Verwaltung und Stadtleben: Wo ist unsere Stadt aus Ihrer Sicht digital schon richtig zukunftsweisend aufgestellt? Und wo sollte Hamburg kräftig an Tempo zulegen?

Aus meiner Sicht sind viele Weichen grundsätzlich schon in die richtige Richtung gestellt. Nun kommt es auf die beharrliche Umsetzung und gelingende Kooperation an. Dabei werden wir gut beraten sein, auf die Stärken der Stadt und ihrer Netzwerke zu schauen. Jedoch sollten wir mehr daran arbeiten, dass das, was wir in und für Hamburg für richtig halten, auch politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich Spuren legt für die nationale und europäische Debatte. 

Ein Digitalisierungsrat für die Freie und Hansestadt Hamburg

Gerade wegen der vielen Aktivitäten im Bereich der Digitalisierung wäre ein Digitalisierungsrat nach schwedischem Vorbild eine Option für Hamburg. Dieser könnte helfen, aus Hamburger Sicht zentrale Themen zu identifizieren und zu transportieren sowie Profilstärken weiter zu entwickeln. Damit könnte uns noch besser gelingen, Hamburg im besten Sinne als „Pfadfinder“ für die Digitalisierung zu positionieren. 

*  *  *

Vielen Dank für die tiefen Einblicke!
Das Interview führte Thomas Keup.

 Hamburg Digital Background: 

Universität Hamburg - Fachbereich Informatik

Universität Hamburg - Arbeitsbereich IT-Management und -consulting

Ahoi Digital - Informatikplattform der Hamburger Hochschulen

The Interface Society (ThIS) - Expertenrat der Digitalisierung e.V.

Wirtschaftsrat: Hamburgs Digitalwirtschaft verpasst nationalen Anschluss

Mittwoch, 9. Mai 2018

HANSESTARTUPS: NautilusLog - das digitale Logbuch aus dem Logistik-Hub.

HAMBURG DIGITAL REPORT

Mehr als 8 Jahre steckt die deutsche Schifffahrtsbranche in der Krise. Allein in den vergangenen 2 Jahren hat sich die Zahl der Linienreedereien von 20 auf 12 verringert. Die globale Allianzen "2M", "Ocean Alliance" und "The Alliance" bestimmen über Wohl oder Wehe der Containerhäfen. Zugleich machen internationale Speditionen Druck. Mit Datenauswertungen und digitalen Services kämpfen Reedereien und Forwarder um die Führungsposition in der digitalen Supply Chain. 


Der schöne Schein trügt: Hafen, Reedereien und Schifffahrtsbranche stehen unter Druck:
Foto: mediaserver.hamburg.de / Look Bildagentur der Fotografen

Deutscher Reederverband, Deutsche Verkehrszeitung und Digital Hub Logitics Hamburg laden zu Pitch-Contests für Logistik- und Schifffahrtsnachwuchs. CMA CGM und MSC planen Marseille zur maritimen Startup-City zu entwickeln. Doch was machen kleinere Reedereien ohne IT- und Digitalabteilung? Was machen Eigener und Betreiber, die ihr Business nicht in die Hände von Klassifizierern wie DNV GL legen wollen? Im Mindspace am Rödingsmarkt entwickelt ein junges Familienunternehmen die digitale Zukunft an Board. Ein Hamburg Digital Report: 

Hamburg-Altstadt, im 2. Stock des Coworking-Spaces Mindspace: Hier im Digital Hub Logistics Hamburg ist das Zuhause des Familienstartups NautilusLog. Der 35-jährige Informatiker Otto Klemke sitzt die meiste Zeit hinter seinem Monitor, codet an einer Software, die die Welt verändern kann. Zu dem jungen, stadtbekannten Informatiker aus Winterhude gesellt sich sein 2 Jahre älterer Bruder Moritz. Der gelernte Schiffbau-Ingenieur aus Hoheluft weiß, worauf es in der kommerziellen Schifffahrt ankommt.


Familen-Startup aus dem Mindspace: Die Familie Klemke von NautilusLog
Foto: NautilusLog
Eigentlich sind sie gar nicht mehr so neu in der Tech-Industrie: Zusammen mit Sven Hamer und Vater Ingo führt Otto Klemke seit 2012 eine erfolgreiche Softwarefirma. Securizon entwickelte u. a. die Android- und iOS-Apps für das Hamburger E-Health-Startup Tinitracks, ist engagiert am Alten Schlachthof unweit der Schanze in Digitalthemen, z. B. für Verlage, wie Axel Springer oder Gruner + Jahr. Die Idee, als Software-Manufaktur etwas eigenes zu kreieren kam in der Diskussion zwischen den Brüdern. HSBA-Absolvent Moritz dazu: "Das Smartphone hat so viele Eigenschaften, das Leben eines Seemanns einfacher zu machen", erzählt er bei der Vorstellung ihrer Idee.

"Logbücher melden sich nicht bei Dir, wenn etwas gemacht werden muss." 

Es geht um das gute, alte Logbuch. Bis zu 80,- € kostet ein Exemplar, nur ein paar Monate reicht es. Allerdings gibt es davon bis zu 20 verschiedene Versionen, z. B. ein Decks Book, ein Garbage Book oder ein Oil Record Book. Bis zu 10 Logbücher fahren auf einem Frachter mit - müssen gehegt und gepflegt werden. Das Problem mit gedruckten Dokumentationen bringt Co-Founder Otto Klemke auf den Punkt: "Logbücher melden sich nicht bei Dir, wenn etwas gemacht werden muss. Und sie sagen dir nicht, wie man etwas erledigen kann." Neben Reparaturen, Wartung und Pflege spielen Daten im Schiffsbetrieb eine immer wichtiger werdende Rolle.

Mit der EU-Direktive 2015/757 aka "MRV" werden ab Beginn des Jahres die Kohlenmonoxidwerte im gesamten Seeverkehr europaweit gemonitort, reportet und verifziert. Zum 31.12. jeden Jahres müssen Reeder für alle Schiffe ab 5.000 Bruttoregister-Tonnen mit Anläufen in EU-Häfen ihre Daten abliefern. Ab Anfang kommenden Jahres wird mit dem "Gesetz zur Verhütung von Luftverschmutzungen" die Messung im Auftrag der International Maritime Organization (IMO) weltweit verbindlich. Ein guter Startpunkt, um Reedern digital unter die Arme zu greifen.

Über 25 mögliche Anwendungsszenarien für die NautilusLog-App

In über 50 Gesprächen mit Eignern, Schiffsmanagern und Zertifizierern evaluieren Otto und Moritz die Chancen für ein digitales MRV-System. Die jungen Digitalisierer kommen mit Vertretern aus den Nordics und Frankreich ebenso ins Gespräch, wie mit Interessenten aus Kanada und Japan. Einhelliger Tenor aus dem Markt: 'Baut das aus!' Anfang 2017 geht der erste Prototyp auf der Route Hamburg-Rotterdam in den Live-Test. Es folgen unzählige Gespräche. Im Sommer '17 ein erstes Highlight: Die "Deutsche Flagge" unterstützt die jungen Hamburger bei ihren Bemühungen, aus dem MRV-System ein digitales Logbuch werden zu lassen.


Die NautilusLog-App nit ihren Funktionsebenen
Foto: NautilusLog
Ein weiteres Szenario steht auf der Tagesordnung: die Inventur von gefährlichen Stoffen, z. B. Asbest in Schiffen. Die Brüder evaluieren aus mehr als 25 möglichen Einsatzszenarien mit der "IHM - Inventory of Hazzardous Materials" ein neues Thema. Die International Hazzardous Materials Association sitzt in Lüneburg - und wird erster Kunde der Hamburger. Noch werden Dokumentationen für MRV und IHM in Excel-Listen erstellt, dienen Papierbücher an Board und Desktop-Anwendungen in den Büros der Schiffsmanager und Reeder als Standard in der analogen Branche. 

Daten sollen nur noch einmal erhoben und mehrfach genutzt werden.

Nicht selten schleichen sich Zahlendreher in die händischen Aufstellungen, häufig werden Daten zu den selben Themen für verschiedene Bücher mehrfach parallel erhoben. Niemand gleicht diese Daten ab, korrigiert Differenzen und gibt Empfehlungen - z. B. zu Wartungsintervallen. Von ihrer Nutzerdenke und ihrer mobilen Erfahrung her haben die jungen Schiffsexperten zusammen mit ihrem Vater das Thema Logbuch neu gedacht. Das Grundprinzip: Daten werden nur noch einmal erhoben - und dann mehrfach und konsistent genutzt - in Echtzeit.

Der zentrale Datenansatz ermöglicht die Verteilung von Aufgaben an die richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit. Dabei ist jedes eingesetzte Smartphone an Board Client und Server zugleich. Die Geräte können offline untereinander synchronisiert werden. Ebenso sind Backups ohne Funkverbindung möglich. Damit setzt das Tech-Team von NautilusLog auf volle Nutzbarkeit für Großreeder mit eigenen Rechenzentren ebenso, wie für kleinere Reedereien ohne eigene IT-Abteilung. Die Daten können über einen handelsüblichen PC ausgelesen und in Excel-Tabellen verarbeitet werden.

Gründer Otto Klemke: "Einen PC nimmst Du nicht mit in den Schiffstank."


Dashboard der NautilusLog-App aus Hamburg.
Foto: NautilusLog
Im Januar diesen Jahres dann der erste professionelle Kundeneinsatz: Bei einem IHM-Dienstleister kommt die App in den Live-Betrieb, unterstützt den Besichtiger bei der Erhebung von Gefahrstoffen an Board gemäß IHMA-Richtlinien. Der Service-Provider generiert aus den App-Daten Excel-Tabellen für einen IHM-Report, mit dem der Schiffseigner die Erfüllung der Vorschriften nachweisen kann. Das bis zu 2 Tage dauernde Schreiben des Berichts schrumpft auf wenige Stunden, hinzu kommt eine deutlich gestiegene Datenqualität und die universelle Nutzbarkeit der erhobenen Angaben aus der Besichtigung an Board.

Mittlerweile ist die 1. voll funktionsfähige Version der NautilusLog-App veröffentlicht - einschließlich MRV-Emissionstracking und IHM-Schadstoffreporting. Ab Anfang kommenden Jahres ist auch die Erweiterung um den internationalen DCS-Standard geplant. Heute ist NautilusLog noch auf das Tracking und Reporting einzelner Aufgabe beschränkt. dazu kommen Rollen und Berechtigungen für Management, Crews und Dienstleister. Zudem ist eine einfache Analyse inkl.  Benchmarking möglich - z. B. zwischen Schiffen der Flotte. Damit das System keine Falle wird, basiert NautilusLog auf offenen Standards und ist modular erweiterbar. So können Services anderer Dienstleister oder künftige Berichtspflichten eingebunden werden. 

InnoRampUp-Unterstützung und internationales Förderprogramm

Die Mühen der vergangenen 1,5 Jahre haben sich schon gelohnt: Im Rahmen des IFB-Startupprogramms "InnoRampUp" erhielt NautilusLog im März 147.000,- € für die weitere Entwicklung und Markterschließung. Dazu kommen noch einmal 25.000,- € für die Entwicklung der Datenschnittstelle von der Wirtschaftsbehörde BWVI. Schließlich hat das Team um Otto Klemke die Zusage zur Teilnahme an einem internationalen Forschungsprogramm zu den Themen "Smart Ship", "Smart Port" und IoT, verbunden mit 170.000,- € Förderung. Damit geht das maritime Startup seinen Weg.


Mit bis zu 10 Logbücher bestückt. Container-Frachter im Hafen.
Foto: HHM / Hasenpusch
Mittlerweile fährt das digitale Logbuch im Dauertest auf einem Frachter mit 6.000 Containern und mit bis zu 15 Knoten über die Meere. Die Hamburger Reederei hinter dem Containershiff sammelt gemeinsam mit NautilusLog wertvolle Erfahrungen für ihre rd. 80 Schiffe auf den Ozeanen. Für das B2B-Startup ist die Zusammenarbeit der Einstieg in die Welt der Handelsschifffahrt, nicht zuletzt, um die Möglichkeiten für künftige Anwendungen auszutesten. Neben dem Live-Test integriert NautilusLog seine technischen Fähigkeiten in die Anwendungen externer Dienstleister.

Digitale Zustandsdokumentation, Hafenboote & DIN-Standards

In Zusammenarbeit mit einem Hamburger Ingenieurbüro und einem Reeder mit über 150 Schiffen ist eine mobile Zustandsdokumentation in Planung. Außerdem fährt das digitale Logbuch seit April d. J. im Hamburger Hafen mit, um künftig auf Hafenbooten und in der Binnenschifffahrt zum Einsatz zu kommen. Die jungen Hamburger sorgen auch über die Stadtgrenzen hinaus für Impulse in der Schifffahrt. NautilusLog ist Mitglied im Deutsches Institut für Normung (DIN). Das Team arbeitet z. B.in einer Arbeitsgruppe an den Standards für digitale Logbücher mit.

Und das ist erst der Anfang: Gespräche mit Reedern über den Einsatz der App für verschiedene Szenarien sind im Gange. Dazu kommt der Austausch mit internationalen Klassifizierungsgesellschaften aus dem Ausland. Doch zunächst steht Otto Klemke in der kommenden Woche in Harburg auf der Bühne, um als eines der innovativsten Startups an Alster und Elbe einen weiteren wertvollen Preis mitnehmen zu können - auf dem Weg zur digitalen Schifffahrt. Wir drücken alle Daumen!

 Hamburg Digital Background: 

NautilusLog-App:
www.nautiluslog.com/de/index.html

PitchBlue von VDR & Partnern:
https://www.pitchblue.hamburg/

Digital Hub Logistics Hamburg:
www.digitalhublogistics.hamburg

HANSESERVICE: Alle Kontakte in den Hamburger Hafen:
http://hh.hansevalley.de/2017/03/hanseservice-hamburg-hafen.html

Sonntag, 6. Mai 2018

HANSEPERSONALITY Peter Schmid: Ein Leuchtturm für die Digitalwirtschaft in Hamburg.

HAMBURG DIGITAL INTERVIEW

Hamburg droht im Vergleich der Metropolen und Wirtschaftszentren Deutschlands abzurutschen. Zu diesem Ergebnis kommt die Landesfachkommission Internet und Digitale Wirtschaft des Wirtschaftsrats. Die Unternehmer warnen: Hamburgs Digitalwirtschaft verpasst den nationalen Anschluss. Senatspolitik und Wirtschaftsförderung haben sich zu lange auf den Lorbeeren von "Medienhauptstadt" und "Elbvalley" ausgeruht. Der Senat verschleudert jährlich einen Millionenbetrag für eine wirkungslose Landesinitiative "Next Media Hamburg".


Sorgt sich um den Digitalstandort Hamburg: Unternehmer Peter Schmid
Foto: WLW

Peter Schmid ist Vorsitzender der Landesfachkommission, seit 1995 mit Autoscout in der Internetwirtschaft zu Hause und als Geschäftsführer des an Alster und Elbe beheimateten B2B-Marktplatzes "Wer liefert was" einer der digitalen Köpfe Hamburgs. Wo läuft's noch richtig rund im "Elbvalley"? Wo knirscht es mächtig im Gebälk? Und wo ist der Zug für die Freie und Hansestadt schon abgefahren? Unser HANSEPERSONALITY ist Peter Schmid:

Die Hamburger Digitalwirtschaft aus Hard- und Softwarebranche sowie den Internetunternehmen spielt bundresweit nicht mehr in der ersten Liga mit. Nach wie vor ist die Stadt mit Facebook, Google, Smaato oder WLW ein führender Marketingstandort. Woran machen Sie als Autor der Studie den "Niedergang" der einst so stolzen "Internethauptstadt" fest?

Sie haben einige der hier ansässigen Digital-Unternehmen genannt. Aber nehmen wir zum Beispiel Google: Der deutsche Hauptsitz ist nach wie vor Hamburg. Aber warum baut Google einen neuen Standort für über 1.000 Mitarbeiter nicht in der Hansestadt, sondern in München? Warum investiert Google in die Münchner TU und nicht in eine Hamburger Institution? 

Darüber hinaus fehlt eine Exzellenz-Universität von wenigstens bundesweitem, noch besser internationalem Ruf und die regionale Politik malt rosarote Wolken, indem sie sagt, Hamburg gehöre immer noch zur digitalen Sperrspitze in Deutschland. Diese und weitere Punkte beleuchten wir in unserer Studie.

Schauen wir zusammen in Ihren Forderungskatalog für die Digitalwirtschaft unter dem Titel "Rahmenbedingungen verbessern - Perspektiven schaffen". Lassen Sie uns die wichtigsten Aspekte zusammenfassen. Welche Top 5-Themen schmerzen Sie als langjähriger Internetunternehmer u. a. bei Parship und WLW? Hand auf's Herz!

Was mir am meisten fehlt, ist ein digitales Leuchtturmprojekt, das eine Anziehungskraft auf die kreativen Köpfe der Digitalwirtschaft ausübt – quasi eine „Elphi der Digitalwirtschaft“. Das könnte zum Beispiel freies WLAN im gesamten Stadtgebiet sein. Wenn die kreativen Köpfe dann nach Hamburg kommen, müssen sie gute infrastrukturelle Rahmenbedingungen vorfinden, also ein funktionierendes Integrations- und Relocation-Programm. 

Eine Hochschule von internationalem Ruf hatte ich bereits angesprochen. Weitere Punkte sind eine strategische Vernetzung mit internationalen Hotspots wie dem Silicon Valley oder Tel Aviv in Israel sowie die Verbesserung des lokalen VC-Angebots, zum Beispiel durch die zügige Umsetzung des beschlossenen Innovations-Wachstumsfonds.

Das Wirtschaftsratspapier ist eine Metastudie aus mehr als 10 renommierten deutschen Datenquellen. Welche Quellen haben Sie für das Positionspapier herangezogen und welche Themenbereiche haben Sie besonders beleuchtet, um daraus eine Essenz der für Hamburg besonders relevanten Aufgaben herauszuschälen?

Es gibt zu den Themen Digitalisierung, Digitalstandort Deutschland, Startup-Standorte aber auch zur technischen Infrastruktur genügend jährlich aufbereitetes Datenmaterial, auf das wir zurückgreifen konnten. Darunter sind der "Startup-Monitor Deutschland" von KPMG und das "Startup Barometer" von Ernst & Young, das statistische Jahrbuch der Hansestadt Hamburg, Informationen des Bundesverbandes Breitbandkommunikation e. V. und des Bundeswirtschaftsministeriums sowie des Statistikportals Statista.

Aus diesen und weiteren Quellen haben wir die Informationen in den Themenbereichen „Hamburg als Startup-Standort“, „Gesellschaftliche Rahmenbedingungen“, „Hochschule und Netzwerke“ sowie „Technische Infrastruktur“ zu unserem Positionspapier zusammengefasst. Jedes Themengebiet schließt mit einem Katalog von drei bis sieben konkreten Forderungen an die Hamburger Politik.


In Ihrem Positionspapier fordern Sie die Umsetzung der zehn Jahre alten Forderungen zur flächendeckenden Gigabit-Vernetzung von Gewerbe- und Bürostandorten in ganz Hamburg. Hand aufs Herz: Warum lässt die Hamburger Politik die Hafenunternehmer mit USB-Sticks und schäbigem Kupferkabel allein? Was läuft in Rathaus und BWVI schief?

Wenn ich die Antwort darauf hätte, bräuchten wir die Forderung nicht aufzustellen. Fakt ist, dass es Unternehmen gibt, die aufgrund der schlechten technischen Infrastruktur in ihrer Leistungsfähigkeit limitiert sind und enorme Anstrengungen aufbringen müssen, um eine adäquate Lösung zu finden.


In einem hochentwickelten Industrieland wie Deutschland und in einer reichen Stadt wie Hamburg über Bandbreiten im Gigabit-Bereich überhaupt diskutieren zu müssen, wird dem Anspruch eines Digitalstandorts nicht ansatzweise gerecht. Hier muss dringend ein Umdenken und daraus resultierend eine Verschiebung von Prioritäten und Ressourcen einsetzen.

Hamburg hat mit der Elbphilharmonie einen "touristischen Leuchtturm". Sie fordern einen neuen Leuhtturm für die Digitalwirtschaft - und nicht nur viele kleinere Maßnahmen zur Schmerzlinderung. Ist die "Digital Society University" der entscheindende Schlüssel, um Hamburg aus der Mittelmäßigkeit der TU Harburg herauszuholen?

Warum bauen Google und Microsoft ihre Standorte in München aus? Warum ist Berlin der Digitalstandort Nummer 1? Und warum entwickelt sich um Karlsruhe oder Aachen die nächste ernstzunehmende Digitalregion? Bestimmt nicht wegen Isar, Spree und Rhein. Es ist die Nähe zu den Exzellenz-Universitäten. 

Die Unternehmen wissen, dass sie hier die am besten ausgebildeten Köpfe finden. Und die Studenten können bereits während des Studiums die ersten Karriereschritte bei attraktiven Arbeitgebern machen. Hier hat Hamburg das Nachsehen. Denn wegen des Elbstrands allein kommt niemand in die Hansestadt – weder Unternehmen, noch Absolventen oder Fachkräfte.

Sie sagen als Geschäftsführer von "Wer liefert was": Alles, was im Consumerbereich passiert ist, wird auch im B2B-Geschäft passieren. Müssen sich Maritime und Hafenwirtschaft, Logistik und internationale Dienstleistungen in Hamburg jetzt warm anziehen? Der Senat scheint ja vor allem auf "Weiter so" mit 7.000 Franzbrötchen für osteuropäische Brummifahrer zu setzen?

Ich bin aufgrund dieser Überzeugung bei „Wer liefert was“ eingestiegen und ich bin immer noch dieser Meinung. Auch wenn im B2B die Mühlen langsamer mahlen. Dennoch: Was digitalisiert werden kann, wird früher oder später digitalisiert werden. Man darf die digitale Revolution aber nicht stigmatisieren oder mystifizieren. 

Denn jede Revolution hat gezeigt, dass die Arbeitsplätze, die dadurch vernichtet wurden, in vielfacher Form an andere Stelle neugeschaffen wurden. Sei es bei der Erfindung des Rades oder bei der industriellen Revolution. Die traditionelle Hamburger Wirtschaft wird eine Lösung dafür finden, sie muss nur langsam mal aufwachen. 

Zu guter Letzt unsere Hamburg-Frage: 

Sie sind seit rd. 5 Jahren an Alster und Elbe zu Hause, seit gut 8 Jahren hier engagiert. Wenn wir mal ihre eigene Wünsche aus dem Positionspapier des Wirtschaftsrates nehmen: Was ist für Sie und ihre Familie besonders wichtig, was sich in Hamburg schleunigst ändern sollte? Kostenloses WLAN überall?

In Bezug auf den Digitalstandort Hamburg wäre das wie bereits erwähnt eine Möglichkeit. WLAN überall würde auch davor schützen, was passiert, wenn der private Router einmal ausfällt. Was meinen Sie, was bei mir zu Hause los ist, wenn kein Netflix oder Spotify mehr funktioniert. Aber Spaß beiseite: 

Neben dem Leuchtturm für die Digitale Wirtschaft ist bezahlbarer Wohnraum wichtig, damit sich Fachkräfte in Hamburg ansiedeln. Und die Elbphilharmonie hilft auf ihre Weise auch: Denn wenn Hamburg aktuell schon keine Strahlkraft aufgrund digitaler Themen entwickelt, dann immerhin auf kultureller und architektonischer Ebene. 



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Vielen Dank für Ihre Offenheit!
Das Interview führte Thomas Keup

 Hamburg Digital Background: 

Wirtschaftsrat: Hamburgs Digitalwirtschaft verpasst nationalen Anschluss:
www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/4A81E6BD8B41C27AC1258272004F2BC9/$file/WR%20HH_Digitalwirtschaft%20in%20Hamburg.pdf

IW Consult: Hamburg im Regional-Ranking auf dem Weg in die Mittelmäßigkeit
www.iwconsult.de/leistungen-themen/branchen-und-regionen/staedteranking-2017/

Abendblatt: Wirtschaftsrat warnt vor digitalem Abstieg Hamburgs:
www.abendblatt.de/hamburg/article214070779/Wirtschaftsrat-warnt-vor-digitalem-Abstieg-Hamburgs.html

Mittwoch, 2. Mai 2018

HANSEFUTURE: Hacker School Hamburg - damit Kids künftig coden können.

HAMBURG DIGITAL REPORT

Dienstag, 23. Januar 2018, am historischen Zeughausmarkt in der Neustadt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht zusammen mit seiner Frau Elke Büdenbender die weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannte Hacker School. Mit viel Zeit und großer Freude lassen sich das Staatsoberhaupt und die First Lady die Arbeit ehrenamtlicher IT-Inspirer, integrierter Flüchtlinge mit IT-Expertise und der Organisatoren um die Ministry Group erläutern.


Großer Tag für ihr Engagement: Frank-Walter Steinmeier zu Gast.
Foto: HANSEVALLEY

Seit 2014 treffen sich in der Hacker School 2x jährlich Kids in Kursen, um gemeinsam Hardware und Software kennenzulernen. Ein ganzes Wochenende betreuen IT-Experten als ehrenamtliche Inspirer bis zu 60 Kinder zwischen 11 und 18 Jahren in bis zu 6 parallelen Sessions. Im Mittelpunkt: Sensibiisierung für die spannende IT-Welt. Ein Hamburg Digital Report: 


Samstag, 24. März d. J. im ehemaligen Hotel am Zeughausmarkt: Im Erdgeschoss des Hamburger IT-Dienstleisters Ministry Group spielen, testen und experimentieren gut 50 Kinder und Jugendliche mit digitaler Technik. In 5 Räumen führen ehrenamtliche Inspirer den jungen Nachwuchs in 6 Kursen an die Möglichkeiten der Informatik heran. In einem lichtdurchfluteten Raum mit Deckenfresken und Dielenböden aus dem Jahr 1825 nehmen Kids alte ThinkPads auseinander, lernen die Funktionsweise von Pentium-Prozessoren kennen. 2 System-Administratoren betreuen die Gruppe bei ihrer Reise durch die PC.


Begeisterte Kids bei ihrer Reise durch den PC.
Foto: Hacker School
In einem anderen Raum horchen Kids rund um einen großem Tisch einem IT-Profi zu, was man mit Software alles machen kann. Ein Monitor wirft Quellcode an die Wand. Hier geht es um Nullen und Einsen mit Googles Voice-Technologie "Paper Signals" zur Steuerung von Objekten - aus Papier. In einem weiteren Raum arbeiten 5 kleine Teams an Apps für das mobile Betriebssystem Android - und lassen sich von der Neugierde eines Online-Journalisten nicht stören. Im ganzen Haus hört man Kids lachen und fröhlich diskutieren.

"Jedes Kind soll einmal in der Hacker School gewesen sein."

Es gibt keinen Lehrplan und keine Frontalbeschallung betont Co-Founder Andreas Ollmann im Gespräch. Die Kids entscheiden sich zu Beginn für ein Thema, dass sie interessiert. Die ehrenamtlichen Inspirer entscheiden, wie sie welche Inhalte spielerisch vermitteln wollen. Von Robotersteuerung über Spieleprogrammierung bis zur Reise durch den PC reicht die Bandbreite der Themen. Zum 8. Mal treffen sich Kids und Techis an diesem Wochenende an der Ost-West-Straße unweit des Michels. Keine 4 Wochen nach Freischaltung der Online-Ameldung war das Frühjahrsangebot ausgebucht.


Von Kontorhaus und Hotel zur Hamburger Hacker School.
Foto: HANSEVALLEY
Die Hacker School ist schon lange nicht mehr unbekannt. Die jungen Teilnehmer und ihre Eltern kommen über die Website ebenso an den Zeughausmarkt, wie über die Facebook-Seite und Berichte der Kollegen von "NDR Hamburg Journal" über "RTL Regional" bis zu "SAT.1 17:30". Nicht selten machen die jungen Nachwuchs-Techis gleich mehrmals nacheinander mit. Dabei ist Organisator Andreas Ollmann durchaus ambitioniert: "Jedes Kind in Deutschland soll in seiner Schulzeit einmal in der Hacker School gewesen sein", diktiert er uns in die Feder.

"Die Teilnehmer kommen nicht über die Schule."

Alles fing vor 4 Jahren ganz klein an: Ein Einseiter lud zum Infoabend ein, verschickt über den Verteiler von Ministry. Rd. 40 Besucher folgten der Einladung, 13 Kurse konnten Anfang 2014 vom Fleck weg angeboten werden, um als Inspirer die Arbeit der Initiative zu unterstützen. Mit den 2x jährlich angebotenen Wochenenden kamen neue Unterstützer hinzu. Rd. 3 Monate braucht es, ein Wochenende mit bis zu 60 Kindern und Jugendlichen zu organisieren. Dazu gehören Termine abstimmen, Inspirer koordinieren, die Kurse planen. Rund 2 Monate vor dem Kick-off wird die Einladung freigeschaltet.

"Die Anmeldungen kommen fast ausschließlich aus den Familien, nicht über die Schulen", sagt der Hamburger IT-Unternehmer Ollmann. Die Zielsetzung ist klar: "Wir wollen den Kindern ermöglichen, sich später für einen Job in der Informatik zu entscheiden." Das ist so über die Schule heute nicht möglich, auch wenn die Staatsministerin für Digitales im Bundeskanzleramt - Dorothee Bär - Informatik flächendeckend an Deutschlands Schulen einführen will. "Wir sind Unternehmer, deshalb machen wir etwas außerhalb der Schule". ist der Bremer Ökonom stolz auf das Engagement mit seinen Co-Foundern David Cummins und Timm Peters.

"Man kann sehr früh mit der Logik für Programmierung anfangen."


First Lady Elke Büdenbender (Mi.) ist begeistert von "Micro-bits"
Foto: HANSEVALLEY
Eine Reihe von Initiativen engagiert sich bundesweit für das Thema, z. B. das "Calliope"-Projekt mit einem programmierbaren Mini-Computer, die Initiative "Chaos macht Schule" des C3 oder die "Haba Digitalwerkstatt". "Du kannst mit 6 Jahren anfangen", unterstreicht der Geschäftsführer der 60-Mann-Gruppe Ministry z. B. das Engagement der "Digitalwerkstatt". Das "Calliope"-Projekt beginnt mit Erstklässlern, während der ebenfalls in der Hacker School eingesetzte Mini-Computer "Micro-bits" erst ab der 5. Klasse zum Einsatz kommt.

In Hamburg werden die Initiativen vom Bildungsprogramm "Digitale Mündigkeit" der Körber-Stiftung koordiniert und die unterschiedlichen Organisationen zum Erfahrungsaustausch vernetzt. Dabei sind die meisten Aktivitäten im Kern ehrenamtlich, teilweise nur unterstützt durch öffentliche Förderung oder Firmensupport. Erfreulicher Weise sind u. a. mit "Chaos macht Schule", der "Code Week Hamburg", der Hacker School, der Körber-Stiftung, "Jugend hackt" sowie der "Haba Digitalwerkstatt" vergleichsweise viele Initiativen an Alster und Elbe aktiv.

Die Kids können sich ohne elterliche Einflüsse ausleben und gehen auf.

Engagiert für den IT-Nachwuchs: Unternehmer Andreas Ollmann
Foto: Hacker School
David Cummins, mit Andreas Ollmann Herz und Seele des Schülerprogramms, gibt zu Protokoll: "Unser Ziel war es, dass es mehr Erfahrungen mit IT unter Kindern und Jugendlichen gibt." Andreas Ollmann ergänzt: "Unser Ziel ist kein Zertifikat über Programmierung, sondern Begeisterung für Informatik." Der praktische Ansatz gibt den IT-Professionals Recht. Anfangs boten die Hamburger über 4 Wochen Präsenzkurse an. Dank der Inspirer hat sich der Fokus auf 2 Tage am  Wochenende verlagert. Eltern sind grundsätzlich nicht dabei. Die Kids können sich ohne elterliche Fürsorge ausleben und gehen in dem Angebot auf.

Jetzt hat das ehrenamtliche Projekt der Hamburger Hacker School die nächste Stufe gezündet. Wie beim jungen Berufsnachwuchs geht es um die Idee, Talente für die Informatik zu gewinnen. Der Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, First Lady Elke Büdenbender und Hamburgs damaligen Ersten Bürgermeister Bürgermeister Olaf Scholz hatte genau diesen Hintergrund: Mit "Hacker School Plus" bieten die Hamburger auch Geflüchteten mit IT-Kenntnissen die Chance, als Inspirer einen Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu bekommen, um anschließend schneller und einfacher in IT-Abteilungen und -Unternehmen vermittelt werden zu können.

"Hacker School Plus": Jeder 6. Flüchtling hat einen Tech-Hintergrund

Nach einem sorgfältigen Auswahlprozess haben die jungen Flüchtlinge die Chance, als Inspirer ihre Fähigkeiten einzubringen. Im nächsten Schritt können sie oft ein Praktikum bei einem Hamburger IT-Anbieter beginnen - der Start ihrer beruflichen Laufbahn in Hamburg. "Wir wollen Leute, die was können und eine Affinität haben"; betont David Cummins die Intention von "Hacker School Plus", dem neuen Programm vom Zeughausmarkt. Andreas Ollmann erläutert: "Ich bin über Impact Dock gestolpert." Das Hamburger Innovations-Startup fand bei einer Umfrage in einer Flüchtlingsunterkunft heraus: Jeder 6. Geflüchtete hat einen Tech-Hintergrund.


IT-Profi Muhamed Lakms mit Olaf Scholz in der Hacker School
Foto: Hacker School
Das Ergebnis ist nicht verwunderlich: In Syrien gab es ein hohe Bildungsniveau mit einer großen Akademikerquote. Nicht zufällig haben viele junge Syrer auf IT gesetzt. Genau jenen bietet "Hacker School Plus" die Chance, bei uns ihren Weg zu gehen, wie der junge Syrer Muhmamed Lakms. Der Inspirer arbeitet heute als IT-Experte beim Tech-Dienstleister "Cellular" in Hamburg. Laut offizieller Angaben gibt es in Hamburg gut 50.000 Geflüchtete. Etwa 30.000 gelten als arbeitsfähig. Bei einem Verhältnis von 1:6 bis 1:10 wären das mehrere tausend zumeist junge Flüchtlinge, die mit fortgeschrittenen IT-Kenntnissen Hamburgs IT-Anbieter unterstützen könnten.

"Wir hätten mehr als 20 Kandidaten, die wir sofort vermitteln können."

Natürlich geht das nicht ohne Beantwortung der entscheidenden Fragen: Wie sieht es intellektuell und bildungsseitig aus? Welche sozialen oder sprachlichen Barrieren sind zu überwinden? Reichen die beruflichen Erfahrungen, um im Hochtechnologieland Deutschland mitzuhalten? Zusammen mit einem erfahrenen Jura-Professor aus Damaskus schaut sich das Team zunächst die Lebensläufe an. Zur Verständigung sind deutsche Sprachkenntnis auf B1 erforderlich. Gut gebildete junge Syrer sind nicht selten bereits nach kurzer Zeit auf fortgeschrittenem Niveau B2 oder C1, ergänzt durch Englischkenntnisse.

Über die Bezirke kamen die ersten Empfehlungen für Teilnehmer zu "Hacker School Plus". Im Oktober '17 startete die erste Hacker School mit drei Flüchtlingen. Das hoffnungsvolle Ergebnis des "Beta-Tests": Ein Inspirer konnte kurze Zeit später fest angestellt werden, ein weiterer IT-Experte eine Ausbildung beginnen. Ende 2017 ging das Programm live. Bei der Frühjahrssession im März d. J. waren schon 5 Inspirer dabei. Mit Unterstützung der Hamburger IT-Beratung Alphacoders findet dann der Vermittlungsprozess für die Berufslaufbahn statt.

"Auf diese Weise entstehen viele neue Chancen für alle Beteiligten."

An hoffnungsvollen Talenten fehlt es nicht: "Wir hätten mehr als 20 Kandidaten, die wir sofort vermitteln könnten" unterstreicht Andreas Ollmann, und ergänzt: "Ich glaube, es wissen einfach noch zu wenige." Obwohl viele IT-Anbieter und -Dienstleister konkreten Bedarf an Ingenieuren haben, fehlen ausreichend Unternehmen, die das Projekt aktiv nutzen. Generell freuen sich die Macher über große Offenheit, flexible Rekruting-Prozesse sowie die Vermittlung und Empfehlung. Doch wäre hier deutlich mehr möglich.


Rocken die Zukunft: Hamburger Kids bei der Hacker School.
Foto: Hacker School

Mit 350.000,- € aus dem 2016 verabschiedeten Hamburger Integrationsfonds kann der hinter der Hacker School stehende, gemeinnütze Verein i3 e. V. jetzt über 2 Jahre eine Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte finanzieren, um das Projekt weiter hochzufahren. "Auf diese Weise entstehen viele Chancen für alle Beteiligten", sagt Andreas Ollmann anläßlich des Besuchs von Frank-Walter Steinmeier am Zeughausmarkt Ende Januar d. J. " Geplant sind monatliche Sessions. Dazu Bedarf es weiterer Kandidaten und Kooperationspartner, die koordiniert werden müssen.

Das Hacker School und "Hacker School Plus" Herzensprojekte sind, zeigen die leuchtenden Augen der Schüler an diesem kühlen Samstag-Nachmittag am Zeughausmarkt. Andreas Ollmann bestätigt zum Abschied die wichtigste Erfahrung aus 4 Jahren Hacker School: "Es funktioniert nur, wenn die wichtigsten Personen, die die Kurse geben, das mit Begeisterung und Freude machen." Der Erfolg gibt dem engagierten Team der Hamburger Ministry Group Recht. Vielleicht die schönste Empfehlung, damit weitere Unternehmen dazukommen.

 Hamburg Digital Views: 

HANSESTATEMENT Dorothee Bär - die richtige Frau zur richtigen Zeit:
http://hh.hansevalley.de/2018/03/hansestatement-dorothee-baer.html

 Hamburg Digital Background: 

Hacker School + "Hacker School Plus" Hamburg:
www.hacker-school.de/

Körber-Stiftung - Bildungsprogramm "Digitale Mündigkeit":
www.koerber-stiftung.de/themen/digitale-muendigkeit

Alphacoders - IT-Personalvermittlung Hamburg:
www.alphacoders.de/

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PROGRAMME FÜR INFORMATIK IN DER SCHULE:

"Calliope" - programmierbarer Minicomputer:
https://calliope.cc/

"Chaos macht Schule" - Weiterbildungsprogramm:
https://ccc.de/schule

"Code Week Hamburg" 06.-21.10.2018:
http://hamburg.codeweek.de/

"Jugend hackt" - Programmierkurse:
https://jugendhackt.org/

Haba Digitalwerkstatt - Nachwuchsangebot:
http://www.digitalwerkstatt.de/

"Micro-bit" - programmierbarer Minicomputer:
http://microbit.org/de/

(Aufstellung in alphabetischer Reihenfolge, kein Anspruch auf Vollständigkeit, Änderungen und Irrtümer vorbehalten)